Die Auswirkungen der digitalen Transformation auf die Arbeitswelt werden nach wie vor intensiv diskutiert. Einerseits bietet die fortschreitende Digitalisierung große Chancen für mehr Wohlstand und Arbeit, andererseits stellt sie Wirtschaft und Gesellschaft vor neue Herausforderungen. So fürchtet eine Vielzahl von Beschäftigten durch die Einführung neuer Technologien, den Arbeitsplatz zu verlieren oder komplett vom Arbeitsmarkt verdrängt zu werden.
Tatsächlich haben in den letzten Jahren eine Reihe von neuen Technologien Marktreife erlangt, die zunehmend in der Lage sind, Tätigkeiten zu übernehmen, die zuvor nur von Menschen erledigt werden konnten. Dies sind beispielsweise mobile, kollaborative Roboter, selbstlernende Computerprogramme sowie erste Anwendungen von 3D-Druck und Virtueller Realität.
Dengler/Matthes (2018) zeigen, dass dadurch der Anteil von Tätigkeiten, die potenziell von Computern erledigt werden könnten, zwischen 2013 und 2016 deutlich gestiegen ist. Im Jahr 2013 arbeiteten 15 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in einem Beruf, in dem viele Tätigkeiten (über 70 Prozent) potenziell ersetzt werden können.
Neue Technologien erlangen Marktreife
Dieses sogenannte Substituierbarkeitspotenzial war damals schon besonders hoch in Fertigungsberufen und fertigungstechnischen Berufen. Im Jahr 2016 arbeiteten insgesamt bereits 25 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in einem Beruf mit hohem Substituierbarkeitspotenzial. Der Anstieg war am deutlichsten bei Verkehrs- und Logistikberufen und im Bereich der unternehmensbezogenen Dienstleistungen zu sehen. Besonders betroffen vom Anstieg waren dabei Helferberufe, die keine oder eine einjährige Berufsausbildung erfordern, interessanterweise waren Berufe mit einem höheren Anforderungsniveau ebenfalls betroffen.
Berufe, Anforderungen und Tätigkeiten ändern sich rasant
Obwohl das Substituierbarkeitspotenzial nur die technische Machbarkeit im Blick hat und aus betriebswirtschaftlichen, ethischen oder rechtlichen Gründen nicht immer ausgeschöpft wird, zeigen die Analysen dennoch sehr deutlich, dass sich Berufe, Anforderungen und Tätigkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt rasant ändern.
Natürlich fallen nicht nur menschliche Tätigkeiten weg, sondern es entstehen gerade durch die Einführung neuer Technologien auch neue Bedarfe: So muss beispielsweise mit neuen Softwareanwendungen wie Simulationssoftware, Geoinformationssystemen oder Entwicklungsumgebungen umgegangen werden können oder es entstehen auch durch neue Produktionsverfahren neue Tätigkeiten im Qualitäts- oder Prozessmanagement (Dengler/Matthes, 2018). Darüber hinaus führt die Einführung neuer Technologien dazu, dass Betriebe aufgrund von Produktivitätssteigerungen Produkte billiger anbieten können. Bei steigender Nachfrage nach diesen Produkten werden dann zusätzlich Beschäftigte benötigt, auch wenn direkt menschliche Tätigkeiten ersetzt werden.
Aber was ergibt sich daraus konkret für die Beschäftigungsentwicklung und welche Herausforderungen haben sich Betriebe und Beschäftigte Hinblick auf Aus- und Weiterbildung stellen?
Erkenntnisse dazu, welche Folgen die Ausbreitung neuer digitaler Technologien für die Beschäftigungsentwicklung und Anforderungsstruktur in Betrieben hat, sind bis jetzt rar. Erste Ergebnisse dazu liefert die vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) gemeinsam mit dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) durchgeführte repräsentative Betriebsbefragung "Arbeitswelt 4.0", die mit administrativen IAB-Daten verknüpft wurde: Es zeichnet sich ab, dass Investitionen in moderne digitale Technologien in den letzten Jahren im Durchschnitt weder zu massiven Beschäftigungsverlusten noch zu deutlichenBeschäftigungsgewinnen geführt haben (Lehmer/Matthes, 2017).
Allerdings unterscheiden sich die Arbeitsmarkteffekte zum Teil sehr deutlich für verschiedene Beschäftigtengruppen: Junge, geringqualifizierte und in geringerem Maße hochqualifizierte Arbeitskräfte profitieren eher von Investitionen in 4.0-Technologien, während ältere und mittelqualifizierte Arbeitnehmer mit Berufsausbildung eher Beschäftigungseinbußen erleiden (Arntz et al.,2019). Entscheidend ist dabei vor allem, welche Tätigkeiten sie in ihrem Arbeitsalltag ausüben. Positive Beschäftigungseffekte lassen sich insbesondere für Beschäftigte finden, die hochkomplexe Expertentätigkeiten in technologieaffinen Betrieben der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT), aber auch in bisher nicht wissensintensiven Dienstleistungen ausüben. Tendenziell ergeben sich Verluste am ehesten für Beschäftigte, die Helfertätigkeiten im Bereich der nicht wissensintensiven Dienstleistungen ausüben (Lehmer/Matthes, 2017).
Neben den Beschäftigungseffekten zeigen sich auch Unterschiede in der Entlohnung. Investitionen in 4.0-Technologien auf Betriebsebene führen im Schnitt zu höheren Löhnen der dort Beschäftigten. Am deutlichsten ausgeprägt ist das in den Wirtschaftsbereichen der wissensintensiven Produktion wie dem Maschinenbau, und den nicht wissensintensiven Dienstleistungen wie dem Handel. Dabei profitieren vor allem geringqualifizierte Personen, da bei ihnen der Einsatz von neuen digitalen Arbeitsmitteln zu höheren Produktivitätssteigerungen führt als bei anderen Qualifikationsgruppen (Genz et al., 2019).
Handlungsbedarf bei der Aus- und Weiterbildung
Die digitale Transformation hat bis jetzt also wenig zu einer Änderung der Gesamtbeschäftigung geführt, dafür ändern sich Qualifikationsbedarfe und Tätigkeiten. Projektionen deuten darauf hin, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird und starke Auswirkungen auf die Branchen- und Berufsstruktur hat (Wolter et al. 2018; Zika et al. 2018).
Für die Aus- und Weiterbildung heißt das: Es besteht großer Handlungsbedarf! Durch den Wandel der Anforderungen und Tätigkeit veraltet das in Ausbildung und Studium erworbene Wissen immer schneller. Die Erstausbildung bleibt zwar die grundlegende Basis, es wird aber zunehmend wichtiger, dass Berufsbilder mit der technologischen Entwicklung Schritt halten. Ausbildungsordnungen müssen daher schneller angepasst und flexibler werden (Kruppe et al., 2019). Dabei besteht die Gefahr eines Auseinanderdriftens der Ausbildung in modernen (Groß-) Betrieben, die neue Technologien schon nutzen und weniger technologisierten (Klein-) Betrieben, bei denen dies nicht oder weniger der Fall ist. Hier könnten Ausbildungskooperationen zwischen hoch- und weniger technologisierten Betrieben allen Azubis ermöglichen, den Umgang mit modernen Produktionsmitteln zum Beispiel in einem Partnerunternehmen zu erlernen. Alternativ könnten überbetriebliche Lehrwerkstätten, entsprechende Beratungsangebote über derartige Möglichkeiten, die Hilfe bei der Suche nach potenziellen Kooperationspartnern sowie gegebenenfalls eine finanzielle Unterstützung von Ausbildungsverbünden dazu beitragen,negative Konsequenzen für die Auszubildenden in weniger technologisierten Betrieben zu vermeiden.
Möglichst alle Jugendlichen in die Ausbildung integrieren
Vor dem Hintergrund genereller Passungsprobleme auf dem Ausbildungsmarkt (eine zunehmende Zahl an unbesetzten Ausbildungsplätzen steht einer großen Zahl an erfolglosen Ausbildungsplatzbewerberinnen und -bewerbern gegenüber) wird es auch zunehmend darum gehen, möglichst alle Jugendlichen stärker in die Ausbildung zu integrieren. Gerade für Jugendliche, die bislang eher schlechte Chancen auf einen Ausbildungsplatz hatten, könnten innovative Lernmöglichkeiten wie Internetrecherchen, Lernspieleund Apps eine Chance bieten, wie sie besser an das Lernen herangeführt werden (Bertelsmann Stiftung, 2018).
Über die Ausbildung hinaus muss Lernen im Erwerbsleben zur Normalität werden. Kruppe et al. (2017) stellen dazu klar, dass insbesondere die Möglichkeiten und Strukturen zur Weiterbildung, Höherqualifizierung und Umschulung ausgebaut werden müssen. Entscheidend ist dabei nicht nur, digitale Inhalte zu stärken, die zweifellos immer wichtiger werden; sondern auch soziale Kompetenzen wie Kooperationsbereitschaft, Kommunikationsstärke, Selbstmanagement oder Empathie, da sich die Art und Weise, wie zusammengearbeitet wird (z.B. in virtuellen Räumen), verändert. Daneben sollten fachübergreifende Kompetenzen vermittelt werden, also beispilesweise eher, welche verschiedenen Methoden es gibt, ein bestimmtes Arbeitsergebnis zu erzielen als nur die Bedienung einer konkreten Maschine oder Anlage (Dengler/Matthes, 2018). Entscheidend ist, Mitarbeiter aller Qualifikationsebenen zu befähigen,künftige Herausforderungen kreativ bewältigen zu können. Damit werden die Beschäftigten auch in Zukunft der wichtigste Standortfaktor für eine erfolgreiche Zukunft der Betriebe in Deutschland bleiben.
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