Innovative Geschäftsmodelle mit hochwertigen Produkten und damit vernetzten Service-Dienstleistungen: Die Zukunft gehört den sich neu ausrichtenden Unternehmen, betont Dr. Klaus Wohlrabe vom Münchner ifo Institut. Im Interview mit RATIO kompakt betont der Experte für Konjunkturanalysen, Prognosen und Befragungen: „Unternehmen müssen sich daran gewöhnen und darauf einstellen, dass in Zukunft die geopolitische Unsicherheit eher zu- als abnehmen wird.“ Auch den demographischen Wandel sollten die Unternehmen auf dem Schirm haben. Das Thema schlage ab 2025 unbarmherzig zu.
RATIO kompakt: Herr Dr. Wohlrabe, wenn wir auf die mittelständische Industrie in Baden-Württemberg mit seinen Schlüsselbranchen Automotive und Maschinen- und Anlagenbau schauen: Wie ist das Jahr 2020 für den Mittelstand gelaufen?
Dr. Klaus Wohlrabe: Wie für die gesamte Wirtschaft war es auch für den Mittelstand in Baden-Württemberg ein sehr schwieriges Jahr. Unsere Umfragen zeigen, dass die Schlüsselbranchen, im Vergleich zu Deutschland insgesamt, sogar noch härter getroffen waren im Frühjahr. Die Nachfrage brach ein und in dessen Folge musste die Produktion teilweise massiv nach unten gefahren werden. Dem harten Einbruch im zweiten Quartal folgte der Aufschwung im dritten Quartal. Gegenwärtig deuten die Umfragen darauf hin, dass die Mittelständler in Baden-Württemberg etwas besser aus der Krise gekommen sind.
Ihre Arbeitsschwerpunkte sind die deutsche und internationale Konjunkturanalyse und Konjunkturprognosen. Was können wir vom kommenden Jahr erwarten, wie sind die mittelfristigen Aussichten?
Der weltweite Aufschwung, der sich im dritten Quartal gezeigt hat, ist durch die zweite Welle erstmal ziemlich ausgebremst worden. Die Volkswirtschaften werden mit gebremster Dynamik in das neue Jahr starten. Dies gilt auch für Deutschland. Der aktuelle Lockdown verzögert das Erreichen des Vorkrisenniveaus. Gegenwärtig gehen wir davon aus, dass dieses nicht vor Ende 2021 erreicht sein wird. Generell hängt die Erholung und das zukünftige Wachstum auch von der Geschwindigkeit der Verteilung des Impfstoffs ab. Anschließend wird es in vielen Bereichen zu einem Neustart bzw. Restrukturierung kommen, insbesondere im Bereich Touristik.
Die baden-württembergische Wirtschaft ist traditionell stark auf den Export ausgerichtet. Wie wird sich das neue asiatische Freihandelsabkommen auf die mittelständischen Unternehmen auswirken? Mit welchen Effekten auf die internationalen Absatzmärkte rechnen Sie im Spannungsfeld protektionistischer Tendenzen im Welthandel?
Das neue Freihandelsabkommen hat vor allem zunächst eine Signalwirkung mit Blick auf die EU und Amerika. Viele Details müssen in dem Vertrag noch ausverhandelt werden. Das wird erst in den nächsten Jahren erfolgen. Kurz- und mittelfristig wird sich für die mittelständigen Unternehmen zunächst nicht viel ändern. Langfristig kann es durchaus sein, dass durch das neue Handelsabkommen die Exporte nach Asien sinken könnten, weil sich zum Beispiel China neue Zulieferer in Asien statt in Deutschland sucht. Die spannende Frage wird sein, ob unter dem neuen US-Präsidenten die protektionistischen Tendenzen weiter bestehen bleiben, oder es zu einer Besinnung kommt, dass gemeinsamer Handel in der Summe allen Handelspartnern zugute kommt. Protektionismus mag kurzfristig manchmal erfolgreich sein, aber langfristig schadet es allen Handelspartnern.
Kann das Geschäftsmodell Export angesichts der Veränderungen auch zukünftig funktionieren?
Das kann und wird durchaus noch funktionieren. Die Globalisierung kann nicht einfach zurückgedreht werden. Ziel sollte es sein, sich in den Exportmärkten breiter aufzustellen. Viele Unternehmen haben in der Krise gemerkt, dass Lieferketten durchaus fragil sein können. Viele nationale und internationale Unternehmen werden sich aus Abhängigkeiten befreien wollen und sich bei Zulieferern auch Alternativen suchen. Für Importeure ist dies ein Muss, während für die Exporteure dort eine Chance für neue Absatzmärkte liegen. In dem einen oder anderen Fall auch im Inland.
Wenn wir auf den Standort Deutschland schauen. Wo sehen Sie die wichtigsten Stellschrauben, damit vor allem die mittelständischen Unternehmen die Herausforderungen der Zukunft positiv gestalten können? Welche wirtschaftspolitischen Voraussetzungen müssten hierfür gesetzt werden?
Planungssicherheit ist ein ganz wichtiger Aspekt. Dies gilt auch für die Wirtschaftspolitik. Der Unternehmer muss wissen, wie die Politik in den kommenden Jahren ungefähr gestaltet sein wird. In der gegenwärtigen Krise wird oft auf Sicht gefahren und kurzfristig agiert. Dies lässt sich nicht vermeiden. Danach sollte jedoch auf einen soliden Kurs eingeschwenkt werden. Wichtige Punkte dürften dann die Gestaltung des Strukturwandels sein, welcher letztendlich alle Branchen im Rahmen der Digitalisierung mehr oder weniger stark treffen wird. Hier wäre eine fokussierte F&E-Förderung wichtig, auch damit die Schlüsselbranchen in Baden-Württemberg weiter auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig bleiben können. Auch wäre eine verstärkte Investitionsförderung, zum Beispiel bessere Abschreibungsregelungen, eine wichtige Stellschraube. Zu guter Letzt sollte man sich auch den internationalen Steuerwettbewerb anschauen, ob da die Unternehmen im Vergleich zu ihren internationalen Konkurrenten bessergestellt werden könnten.
Welches sind die relevanten Zukunftsthemen und Trends, mit denen sich der baden-württembergische Mittelstand beschäftigen sollte?
Die zukünftigen Trends liegen auf der Hand. Die Digitalisierung wird immer schneller mehr und mehr Wirtschaftszweige erfassen. Hier gilt es den Wandel mitzugestalten. Die Kunst wird darin bestehen, ein erfolgreiches Geschäftsmodell mit qualitativ hochwertigen Produkten um entsprechende Servicedienstleistungen, Stichwort Vernetzung, zu ergänzen. Ein eher weniger erfreulicher Trend, der sich in den letzten Jahren verstärkt hat, ist die Unsicherheit. Unternehmen müssen sich daran gewöhnen und darauf einstellen, dass in Zukunft insbesondere die geopolitische Unsicherheit eher zu- als abnehmen wird. Ein Thema, welches spätestens ab 2025 unbarmherzig zuschlagen wird, ist der demographische Wandel. Gegenwärtig ist dies aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. Die Unternehmer sollten es aber auf dem Schirm haben. In naher Zukunft werden mehr Arbeitnehmer aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden als neue hinzukommen.
In der letzten Zeit ist immer wieder von sogenannten Zombie-Unternehmen die Rede, Firmen, die aufgrund von Hilfsprogrammen und niedrigen Zinsen künstlich am Leben gehalten werden. Sind sie eine Bedrohung für die Wirtschaft? Und schießt der Staat übers Ziel hinaus?
Der Staat war in der akuten Phase der Krise in einer Zwickmühle. Auf der einen Seite wollte er schnell und umfangreich helfen. Auf der anderen Seite sollte die Hilfe möglichst unbürokratisch den Unternehmen gewährleistet werden. Da war es zu erwarten, dass auch Unternehmen von den Hilfen profitieren, deren Geschäftsmodell auch schon vor der Krise auf wackeligen Beinen stand. Eine Bedrohung für die Wirtschaft insgesamt sehe ich im Moment nicht. Diese wäre erst gegeben, wenn wichtige, größere und stark vernetzte Unternehmen permanent in substanzieller Zahl künstlich am Leben gehalten werden. Mittelfristig muss der Staat schon aufpassen, nicht über das Ziel hinauszuschießen. Er darf die Unternehmen nicht an die Hilfen gewöhnen, welche dann eventuell als Folge notwendige interne Reformen oder Restrukturierungen unterlassen.
Bislang ist die Zunahme von Insolvenzen in der gewerblichen Wirtschaft Baden-Württembergs ausgeblieben. Was ist Ihre Prognose?
Das ist eine spannende Frage und schwer zu beantworten. Die de facto Aussetzung der Insolvenzordnung hat an einen Schleier der Unwissenheit über die Entwicklung in dem Bereich gelegt. Gegenwärtig geben 15 Prozent der Unternehmen in unseren Umfragen an, dass sie sich in ihrer Existenz bedroht sehen. Daraus lässt sich schließen, dass genau so viele Unternehmen dann auch tatsächlich Pleite gehen. Sicherlich werden wir im neuen Jahr vermehrt Insolvenzen sehen, insbesondere im Bereich des sogenannten sozialen Konsums wie das Gastgewerbe. Wie groß die sogenannte Welle dann sein wird bleibt noch abzuwarten.
Weiterführende Informationen zum ifo - Zentrum für Makroökonomik und Befragungen.
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