Die Kreditwirtschaft wird auch in der Corona-Krise ihrer Verantwortung gerecht. Das betont Guy Selbherr. Im Interview mit RATIO kompakt nimmt der Vorstand der Bürgschaftsbank Baden-Württemberg zu den Finanzierungsangeboten Stellung, gibt mittelständischen Unternehmen mit Finanzierungsbedarf Empfehlungen - und lobt die Vielfalt und Dichte der Banken in Deutschland.
RATIO kompakt: Sehr geehrter Herr Selbherr, die Corona-Krise und der damit verbundene Lock-down haben die Situation in vielen baden-württembergischen Unternehmen schlagartig verschlechtert. Wie hat sich das Tagesgeschäft von Ihnen und Ihren Kollegen seit Anfang März verändert?
Seit ca. Mitte März hat sich unser bis dahin relativ stabiles Tagesgeschäft schlagartig verändert. Durch den angeordneten Shut-down werden viele Wirtschaftszweige massiv beeinträchtigt, Lieferketten unterbrochen, und Umsätze brechen weg. Sehr stark betroffen sind bis dahin gut florierende Branchen wie Hotellerie/Gastronomie, Handel und auch Dienstleistungen. Im weiteren Jahresverlauf rechnen wir auch mit einer zunehmenden Betroffenheit und einem erhöhten Finanzierungsbedarf bei weiteren Branchen, vor allem auch bei Industriebetrieben. Die Genehmigungen haben sich im April gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als verdoppelt, allein im April wurden Liquiditätskredite in Höhe von über 100 Millionen Euro von uns verbürgt. Bis Ende April erreichten uns mehr als 1.000 Anträge mit über 250 Mio. Euro Kreditvolumen. Natürlich sind auch wir von der Corona-Krise betroffen: Seit Mitte März arbeiten etwa zwei Drittel unserer Mitarbeiter von zu Hause aus. Wir sind froh, im vergangenen Jahr mit der Einführung des mobilen Arbeitens hierfür die Grundlage geschaffen zu haben. An diese für uns alle neue Situation haben wir uns schnell angepasst, was auch das stark anziehende Genehmigungsvolumen beweist. Unsere Kunden können aber sicher sein, dass wir trotz der veränderten Rahmenbedingungen über die gängigen Kanäle wie Telefon und E-Mail wie gewohnt erreichbar sind.
Unter den neuen Finanzierungsangeboten wird der Schnellkredit der KfW mit 100-prozentiger Haftungsfreistellung vielerorts als ideale Lösung für die Liquiditätsproblematik angepriesen. Wie sehen Sie das?
Es wurde damit eine schnelle und schlanke Lösung für eine Vielzahl von Unternehmen geschaffen, kleine Unternehmen bis zehn Mitarbeiter und Firmen mit negativer Umsatzentwicklung werden damit jedoch nicht erreicht. Für viele Zwecke kann der auf 800.000 Euro begrenzte KfW-Schnellkredit eine gute Lösung sein. Dabei sollten Unternehmen und ihre Hausbanken allerdings beachten, dass die Nutzung des KfW-Schnellkredits eine weitere Förderung durch andere Partner, zum Beispiel Bürgschaftsbanken, grundsätzlich ausschließt.
Wo halten Sie es für sinnvoll oder gar notwendig, das Angebot der Bürgschaftsbank und der Mittelständischen Beteiligungs-gesellschaft (MBG) angesichts der zu erwartenden Entwicklungen noch verbessern zu können?
Wir arbeiten derzeit an verschiedenen Stellen daran, unser Angebot weiter an die Bedürfnisse der Firmen im Land anzupassen. Im Fokus stehen insbesondere die Unternehmen, die aufgrund der Programmgestaltung nicht unter den Darlehens-Schutzschirm der KfW fallen. Derzeit gehen konkrete Überlegungen in folgende Richtung:
- Verbesserung des bestehenden L-Bank-Angebots Liquiditätskredit mit Bürgschaft bis 90 Prozent durch zusätzlichen Tilgungszuschuss für von Corona betroffene Betriebe
- Ergänzendes kleinteiliges Angebot ("Sofortbürgschaft")
- Verbesserung der Rahmenbedingungen in der Beteiligungs-finanzierung, zum Beispiel mit Ausweitung der maximalen Beteiligungshöhe auf 2,5 Mio. Euro
- Erweitertes Mezzaninangebot bis 800.000 Euro für alle Unternehmen, die keinen Zugang zum KfW-Schnellkredit haben, also insbesondere Start-ups und junge, kleinere Mittelständler.
Welche Empfehlungen können Sie Mittelständlern mit Finanzierungsbedarf in der aktuellen Situation mit auf den Weg geben?
Die Unternehmen sollten aussagefähige Zahlen und eine konkrete Finanzbedarfsermittlung schnell zur Verfügung stellen. Wichtig ist, dass aufgrund der Unwägbarkeiten auch ausreichende Puffer eingeplant werden. Außerdem raten wir dazu, Berater, zum Beispiel vom RKW BW, einzubinden und sämtliche Möglichkeiten der Kosteneinsparung zu nutzen. Flankierend sollten sie darüber hinaus in der aktuellen Situation öffentliche Hilfen wie Kurzarbeitergeld, Soforthilfen etc. beantragen. Wichtig ist zudem natürlich, dass die Unternehmen möglichst frühzeitig ihre Hausbank einbinden. Wir beobachten auch, dass viele Unternehmen die Krise auch als Chance im Bereich Digitalisierung sehen und ihr Geschäftsmodell an die neue Situation anpassen.
So mancher Unternehmer wünscht sich angesichts der Corona-Krise mehr Flexibilität von den Banken und mehr Risikobereitschaft. Was sagen Sie dazu?
Es wurde ein umfangreicher Schutzschirm mit Soforthilfen, Kredit- und Bürgschaftsprogrammen aufgelegt. Damit werden betroffene Unternehmen sehr weitgehend unterstützt und Kreditinstituten mit 80, 90 oder sogar 100 Prozent das Risiko abgenommen, was angesichts gesundheitspolitischer Maßnahmen, die teilweise die Schließung von Betrieben zur Folge haben, durchaus gerechtfertigt erscheint. Trotz gewisser Anpassungen im Aufsichtsrecht ist das Bank- und Kreditgeschäft in hohem Maße reguliert. In der derzeitigen Situation zeigt sich, dass sich die Regulatorik teilweise Krisen verschärfend auswirkt und zum Beispiel auch mathematische Modelle und Szenarien an ihre Grenzen stoßen. Angesichts dieser Rahmenbedingungen dürfen wir uns in Deutschland über die - in der Vergangenheit vielfach gescholtene - Vielfalt und Dichte an Sparkassen und Banken glücklich schätzen. Die sehr hohen Antragszahlen, die die KfW derzeit erreicht, verbunden mit einer stark steigenden Nachfrage auch bei uns Bürgschaftsbanken zeigen, dass die Kreditwirtschaft ihrer Verantwortung gerecht wird.
Das RKW BW ist seit vielen Jahren einer der Beratungspartner der Bürgschaftsbank. Was haben Ihre Kunden von dieser Kooperation?
Wir erkennen natürlich unmittelbar einen Beratungsbedarf im Gespräch mit unseren Kunden und können dann bezogen auf die jeweilige Situation unter Einbindung des RKW BW sehr schnell eine passgenaue Lösung anbieten. Die kurzen Wege zum RKW, der regelmäßige Austausch unserer Unternehmenskundenbetreuer mit dem RKW BW sind die Basis dieser langjährigen Zusammenarbeit. Durch eine begleitende Beratung des RKW können nicht nur Unternehmen in Umbruchsituationen besser unterstützt werden, auch wird deren Wettbewerbsfähigkeit unmittelbar - zum Beispiel durch Innovationen und Effizienzmaßnahmen - deutlich verbessert oder es werden gemeinsam Strategien im Hinblick auf die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen entwickelt. Besondere Bedeutung hat nun auch das neue Beratungsprogramm des Landes im Hinblick auf die Corona-Krise, was sowohl für unsere Portfolio-Unternehmen als auch potenzielle Neukunden einen großen Mehrwert bieten dürfte.
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