Das RKW Baden-Württemberg setzt aktuell das Projekt „Start-up meets Mittelstand“ auf, um Gründer/-innen und mittelständische Unternehmen zusammenzubringen. Denn der Aufbau von Kooperationsplattformen und die Bildung von Partnerschaften bei der Wertschöpfung wird für mittelständische Unternehmen immer wichtiger – und bietet Chancen für Start-ups bei der Expansion. RATIO kompakt hat hierzu Professor Dr.-Ing. Wilhelm Bauer befragt. Er ist Leiter des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation, Technologiebeauftragter der Wirtschaftsministerin des Landes Baden-Württemberg und Vorstandsmitglied des RKW BW e.V. Professor Bauer betont: „Wichtig ist, immer die eigenen Grenzen zu kennen. Auch hier geht es um den klassischen Dreiklang von Mensch, Technik und Organisation, den es zukunftsweisend zu gestalten gilt.“ Kooperation: Für Professor Bauer einer der zentralen Erfolgsfaktoren zukünftigen Innovierens und Wirtschaftens.

RATIO kompakt: Sehr geehrter Herr Professor Bauer, seit einigen Jahren bemühen sich die großen Unternehmen im Land um Start-ups, zum Beispiel die Daimler AG mit ihrer Initiative „Start-up Autobahn“. Firmen wie Porsche gehen Kooperationen mit jungen Unternehmen ein, treiben Produktinnovationen voran. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

Professor Wilhelm Bauer: Bedeutsam, denn zukünftig werden die Gestaltung von Wertschöpfungspartnerschaften und die Einbettung der Unternehmen in ein digitales Ökosystem über deren wirtschaftlichen Erfolg entscheiden. Viele Unternehmen verfolgen jedoch bisher häufig Spezialisierungsstrategien, um Komplexität zu reduzieren und in einem überschaubaren Konkretheitsraum sowie in Arbeitsteilung zu agieren. Mit der Digitalisierung wird diese Vorgehensweise zur Unternehmensentwicklung zunehmend existenzgefährdend, da die Vernetzung zur Basis der Wirtschaft und die Beherrschung von Komplexität zur Grundlage des eigenen Handelns und des Angebots wettbewerbsfähiger Produkte und Services wird. Kooperation wird daher einer der zentralen Erfolgsfaktoren zukünftigen Innovierens und Wirtschaftens.

Die Schaffung ambidexter und agiler Innovationsstrukturen, wie wir sie bei einigen Unternehmen schon sehen, ist eine strategische Antwort auf diese Herausforderungen. Die »Porsche digital GmbH«, die »Start-up Autobahn«, der Aufbau von Innovationswerkstätten oder die Gründung kleiner agiler Teams, die räumlich und teilweise auch organisatorisch außerhalb des eigentlichen Unternehmens angesiedelt werden, sind Beispiele, wie Unternehmen versuchen, sowohl agil als auch mit einer Start-up-Mentalität im Feld der Exploration, aber dann auch zielgerichtet in der Verwer­tung und Nutzbarmachung zu agieren.

Für kleine und mittelständische Unternehmen wird im Zuge der Digitalisierung die Fähigkeit, ambidext vorzugehen, zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor – jedoch sind die bislang zu beobachtenden Ansätze für sie nicht eins zu eins umsetzbar. Hier werden andere Modelle oder Kooperationsplattformen benötigt, um voneinander zu lernen und miteinander zielgerichtet Wertschöpfungspartnerschaften zu gestalten. 

Start-ups haben meist flache Hierarchien, weniger Pfadabhängigkeiten und nutzen agile Methoden, Mittelständler verfügen über mehr Markterfahrungen und Netzwerke. Gute Ansatzpunkte für Kooperationen und Entwicklungspartnerschaften?

Prinzipiell ja! Eine Kooperation ist immer dann erfolgreich, wenn alle beteiligten Partner davon profitieren. Wenn es im Rahmen einer Kooperation darum gehen soll, Erfahrungen auszutauschen und voneinander zu lernen reichen die beschriebenen Merkmale aus. Geht es aber darum, miteinander eine Wertschöpfungskette zu gestalten oder gemeinsame Wertversprechen abzugeben, dann bedarf es einer viel breiteren Grundlage der Zusammenarbeit.

Wichtig dabei ist, immer auch die eigenen Grenzen zu kennen. Agilität beispielsweise hängt nicht nur davon ab, entsprechende Methoden einzusetzen und schlankere Prozesse wie auch Entscheidungsstrukturen einzuführen. Diese steht und fällt mit den Menschen im Unternehmen und deren Fähigkeit und Aufgeschlossenheit, Dinge mal anders zu machen. Auch hier geht es um den klassischen Dreiklang von Mensch, Technik und Organisation, den es zukunftsweisend zu gestalten gilt.

Die Zusammenarbeit von mittelständischen Unternehmen mit Start-ups bietet Vorteile für beide Seiten, gleichwohl registriert das RKW Kompetenzzentrum in einer Studie eine gewisse Zurückhaltung bei KMU: Nur etwa jedes zweite mittelständische Unternehmen hat regelmäßig Kontakt zu Start-ups. Rund 70 Prozent der KMU überlassen die Kontaktaufnahme mit Start-ups immer noch dem Zufall. Woran liegt das?

Nun, ich denke, dass solche Zahlen stark mit der eingangs skizzierten strategischen Ausrichtung vieler KMU zu tun haben. Solange Spezialisierungsstrategien verfolgt werden ist die Notwendigkeit zur Kooperation gering. Ähnliche Zahlen finden wir beispielsweise auch im Regional Innovation Scoreboard der Europäischen Union. Hier liegt Deutschland bei der Frage nach KMU, die mit anderen Partnern zusammenarbeiten, im hinteren Mittelfeld aller EU-Staaten. Die positive Nachricht ist aber, dass sich die Zahlen für Deutschland zwischen 2019 und 2021 verbessert haben. Ein Indiz dafür, dass KMU die Notwendigkeit zur Kooperation mehr und mehr erkennen.

Das RKW Kompetenzzentrum hat festgestellt, dass KMU aus der IKT-Branche einen besonders regen Austausch mit jungen Unternehmen pflegen. Was können andere Branchen wie etwa der Maschinen- und Anlagenbau von IKT-Unternehmen lernen?

Auch hier gilt: Beide Seiten können voneinander lernen! Einer der Gründe, warum in der IKT-Branche ein regerer Austausch mit jungen Unternehmen herrscht, ist die enorme Geschwindigkeit des technologischen Wandels. Hier mitzuhalten gelingt nur durch Offenheit und Kooperation. Diese hohen Geschwindigkeiten sind zudem nur möglich, weil Produkte selten fertig entwickelt an den Markt gehen, sondern über Versionierungen stetig erweitert und angepasst werden. Solche dynamischen Weiterentwicklungen sind im Maschinen- und Anlagenbau nicht ohne weiteres möglich. Gleichzeitig steigt hier aber der Softwareanteil kontinuierlich an. Unternehmen, die sich bislang stark auf ihre Hardware konzentriert haben, können sich daher viel in Bezug auf die Entwicklung von Softwarekomponenten abschauen: Vom Experiment über das Minimal Viable Product bis hin zu iterativen Entwicklungsprozessen unter Einbeziehung des Kunden. IKT-Unternehmen auf der anderen Seite können lernen, wie ein Engineering aussieht, das Produkte an den Markt bringt, deren Funktionalität zu annähernd 100 Prozent gegeben ist.

Das RKW BW setzt zurzeit das Projekt „Start-up meets Mittelstand“ auf. Ziel ist es, insbesondere mittelständische Unternehmen im ländlichen Raum mit innovativen Start-ups aus Metropolregionen zu vernetzen. Im Kern geht es um die Weiterentwicklung des Mittelstands in Baden-Württemberg. Wie ordnen Sie als Technologiebeauftragter des Landes Baden-Württemberg diese Initiative ein, welche flankierenden Maßnahmen könnten dieses Projekt aus Ihrer Sicht stützen?

Die Idee, mittelständische Unternehmen mit Start-ups zusammenzubringen ist ja nicht neu. Hierzu unterstützt das Land beispielsweise die Allianz Industrie 4.0 mit ihrem Matching-Format „Startup the future“. Der Ansatz von „Start-up meets Mittelstand“ differenziert sich dadurch, dass hier der Aufbau einer Plattform zum regelmäßigen produktiven Austausch in einem sogenannten „Safe Space“ angestrebt wird. Einen solchen Ansatz kann ich in meiner Rolle als Technologiebeauftragter der Wirtschaftsministerin von Baden-Württemberg nur unterstützen.

Flankierende Maßnahmen dazu sehe ich beispielsweise in der Vernetzung zu etablierten Transferstrukturen und Transferformaten. Ich bin der Meinung, dass wir in Baden-Württemberg unser Transfersystem und unsere Transferformate mit der Perspektive auf die Customer Journey der Innovation eines mittelständischen Unternehmens sehen müssen. Sobald ein Unternehmen sich auf den Weg macht, seine Prozesse oder Produkte zu innovieren, müssen passgenaue Unterstützungsangebote angeboten oder auf hilfreiche Infrastrukturen, wie beispielsweise die regionalen Digitalisierungszentren oder regionale Innovationscluster, hingewiesen werden. Intermediäre wie beispielsweise das RKW Baden-Württemberg sind hier essenziell und dazu aufgefordert, Unternehmen auf ihrer Customer Journey mit Unterstützungsangeboten zu begleiten und zu lotsen.

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