Den demografischen Wandel aktiv gestalten: Das wird zunehmend eine Herausforderung für den Mittelstand. RATIO kompakt hat dazu Silke Balbierz befragt. Die RKW BW-Fachberaterin ist Spezialistin für Organisations- und Personalentwicklung. Ein Arbeitsschwerpunkt als Trainerin und Beraterin beim RKW BW ist die strategische Personalplanung, also die Ausrichtung der Personalarbeit an der Unternehmensstrategie. Silke Balbierz betont: „Dieses Instrument hilft Ihnen heute zu erkennen, welche Mitarbeiter Sie morgen brauchen“ - und erhöht die Planungssicherheit angesichts des demografischen Wandels in der Arbeitswelt.

RATIO kompakt: Fehlende Fachkräfte bei gleichzeitiger Umsetzung bestehender oder auch neuer, erweiternder Geschäftsideen ist eine der Herausforderungen der aktuellen Arbeitswelt. Ein strategisches Personalmanagement unterstützt die Unternehmensführung dabei, den geschäftlichen Erfolg sicherzustellen. Was ist mit strategischem Personalmanagement genau gemeint?

Auf den Punkt gebracht: die Ausrichtung der Personalarbeit an der Unternehmensstrategie. Eine Personalarbeit, die auf die strategischen Herausforderungen und wichtigen Einflüsse wie etwa Digitalisierung Bezug nimmt, schafft die Voraussetzungen dafür, dass die Personalressourcen zur Verfügung stehen, die zur Realisierung der Geschäftsziele notwendig sind. Schlussendlich geht es um die Frage: Was müssen Sie heute im Hinblick auf Ihr Personal entscheiden und beginnen, damit Sie auch morgen noch erfolgreich im Geschäft sind. Und genau damit befasst sich eine strategische Personalplanung.

Ist das nicht eher ein Instrument für große Unternehmen? Was bringt eine strategische Personalplanung?
Sie hilft Ihnen heute zu erkennen, welche Mitarbeiter Sie morgen brauchen. So haben Sie eine gute Chance, sich personalwirtschaftlich rechtzeitig auf Änderungen einzustellen. Ob mit oder ohne Fachkräftemangel: Es wird in der aktuellen Arbeitswelt für immer mehr Unternehmen schwieriger, die für sie passenden Mitarbeiter zu finden. Ein Mechatroniker etwa steht frühestens nach 3,5 Jahren Berufsausbildung zur Verfügung. Und bis man aus ihm dann einen vollwertigen Servicetechniker gemacht hat, der auch im Ausland einsetzbar ist, gehen mindestens weitere drei Jahre ins Land. Ob er dann aber im Unternehmen bleibt oder dieses verlässt, ist heute ungewisser denn je. Der kritische Faktor ist also vor allem die Zeit – und genau die verschafft Ihnen eine strategische Personalplanung. Das gilt für Unternehmen jeder Größe.

Kann ich in solchen unsicheren und sich schnell verändernden Zeiten überhaupt etwas planen?
Erfahrungsgemäß bewegt sich der Zeithorizont einer strategischen Personalplanung zwischen einem und fünf Jahren. In sehr turbulenten Zeiten kann es sinnvoll sein, sie halbjährlich zu wiederholen.

Wie läuft der strategische Personalplanungsprozess konkret ab?
Die Grundidee hinter dem Planungsprozess ist, dass Veränderungen in der strategischen Ausrichtung eines Unternehmens sich direkt auf Aufgaben und Personalbedarf auswirken können. Ein gemeinsames Verständnis über die strategischen Eckpfeiler des Unternehmens - also der Zukunftspläne - ist Basis für den weiteren Prozess. Doch nun Schritt für Schritt: Der Planungsprozess gliedert sich in sechs Phasen. Im ersten Schritt geht es darum, Stellen bzw. „Jobs“ mit verwandten Aufgaben(profilen) zu sogenannten Jobfamilien zusammen zu fassen. Dieses Konstrukt ermöglicht einen differenzierten und effizienten Blick auf die künftige Entwicklung der Personalressourcen. Im zweiten Schritt werden die strategischen Rahmenbedingungen eines Unternehmens definiert. Der dritte Schritt verknüpft die Unternehmensstrategie mit der Personalplanung. Hier geht es um die Beantwortung der Fragen: Wie wichtig ist eine bestimmte Jobfamilie für die Umsetzung der Unternehmensziele und in welchem Ausmaß ist sie von möglichen Veränderungen wie etwa Digitalisierung betroffen. Sind die „erfolgskritischen“ Jobfamilien identifiziert, wird in Schritt 4 für jede priorisierte Jobfamilie ein Risikoprofil erstellt. Hier wird das Alters-, Kapazitäts-, Kompetenz- und Beschaffungsrisiko einer Jobfamilie bewertet. Auf diese Weise entsteht ein erstes Bild vom jeweiligen personalwirtschaftlichen Handlungsbedarf. Daraus können später gezielt strategisch relevante Maßnahmen abgeleitet werden. Im fünften Schritt werden die relevanten Kompetenzen einer Jobfamilie betrachtet. Also: Welche Kompetenzen, welches Fachwissen ist notwendig, damit die Mitarbeiter der Jobfamilie handlungsfähig werden und bleiben können – auch im Hinblick auf Digitalisierung und Anforderungen der neuen Arbeitswelt. Die aktuell rasante Entwicklung führt dazu, dass diese „Kompetenzen der Zukunft“ überlebenswichtig werden. Der Prozess endet mit der Maßnahmenplanung. Auf Basis der vorangegangenen Analysen und Erkenntnisse wird bestimmt, welche kurz-, mittel-, und langfristigen personalwirtschaftlichen Maßnahmen strategisch notwendig sind.

Wer ist beim strategischen Personalplanungsprozess involviert, und ist das ein aufwendiger Prozess?
Der zeitliche Aufwand ist überschaubar. Hat sich der „Personaler“ gut vorbereitet, entsteht im Laufe eines eintägigen Workshops ein Portfolio an personalwirtschaftlichen Maßnahmen, die direkt auf den Unternehmenserfolg der nächsten Jahre einzahlen. Regelmäßige Reviews garantieren einen gewissen Drive bei der Umsetzung und zeigen gegebenenfalls notwendige Anpassungen an. Ins Boot gehören neben dem Personaler, der den Prozess moderiert, unbedingt die Geschäftsführung bzw. der Führungskreis. Alle Bereiche oder Abteilungen sollten inhaltlich in irgendeiner Form vertreten sein. Ein Externer ist generell von Vorteil; er bringt Erfahrungen ein und regt durch kritisches Hinterfragen, zum Beispiel bei der Bildung von Jobfamilien, wichtige Diskussionen an. Mitunter ist es auch hilfreich, wenn weitere Mitarbeiter – etwa aus der IT - dabei sind, um bei der Umsetzung der Maßnahmen zu unterstützen.

Welche Erfahrungen haben Sie als Beraterin und Trainerin mit der Methode in der Praxis gemacht?
Der oben beschriebene Prozess ist in sich stabil und hat in den Unternehmen immer zu tieferen Erkenntnissen über das Wechselspiel zwischen der Unternehmensstrategie und Personalressourcen geführt. In allen Workshops war ein externer Moderator und dessen kritisch-hinterfragende Blick hilfreich - vor allem bei der Bildung der Jobfamilien und bei der Verknüpfung von Strategie und Personalplanung. Nicht selten hat das dazu geführt, dass die Unternehmensstrategie etwas nachjustiert wurde oder ein strategischer Eckpfeiler eine höhere Bedeutung bekam. Die Praxis zeigt aber auch, dass es sinnvoll sein kann, im einen oder anderen Prozessschritt von der Standardvorgehensweise abzuweichen. Insbesondere beim Erarbeiten der Maßnahmen war es hilfreich zunächst „auf der grünen Wiese zu denken“ als entlang der Personalprozesskette. Dabei hat es sich bewährt, zunächst bei einer Jobfamilie zu beginnen und tiefer einzusteigen. Zum einen lassen sich die erarbeiteten Maßnahmen häufig auch auf andere Jobfamilien übertragen, zum anderen gibt es Maßnahmen, welche grundsätzlicher Natur sind und sich auf das Unternehmen insgesamt beziehen - zum Beispiel die Definition einer Unternehmens-DNA.

Und auf welche Stolpersteine muss ein Unternehmen bei der Durchführung achten?
Mögliche Stolpersteine können sein, dass man sich zu wenig Zeit nimmt, die definierten Jobfamilien zu hinterfragen. Hier führt sowohl ein zu tiefes Differenzieren als auch ein zu starkes Aggregieren zu Schwierigkeiten im weiteren Planungsprozess. Eine belastbare Zahlen- und Faktenbasis sowie eine offene Kommunikations- und Diskussionskultur zahlen direkt ein auf die Qualität der erarbeiteten Maßnahmen. Am Ende des Tages gilt aber auch hier: Das Planen der Maßnahmen ist „nur“ der erste Schritt. Entscheidend ist das ins Tun kommen und vor allem das Dranbleiben an der Umsetzung. Hier können Impulse von außen, zum Beispiel durch regelmäßige extern begleitete Reviews, die notwendige Energie freisetzen und den Prozess unterstützen.

Wo können sich zum Beispiel Personalverantwortliche informieren, wenn sie in ihrem Unternehmen ein strategisches Personalmanagement einführen möchten? 

Das RKW BW hat einen Lehrgang aufgebaut, der sich auf strategische Personalentwicklung spezialisiert hat. Der strategische Personalplanungsprozess ist ein wesentlicher Teil des Lehrgangs. Der große Pluspunkt: Neben der strategischen Personalplanung wird auch auf die Entwicklung von wichtigen Kompetenzen in der Belegschaft eingegangen. Der Fokus: die aktuelle digitalisierte Welt. Aber natürlich können wir das Instrument auch in Form eines Inhouse-Projekts einführen.

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  • © Stefanie Kresse / Sonstige/Kommerziell – Silke Balbierz (2021-02-16-Silke-Balbierz-Fotografin_Stefanie-Kresse.jpg)

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