Die Kernthesen

Den Mittelstand in Baden-Württemberg sieht Christian Böllhoff, geschäftsführender Gesellschafter der Prognos AG, gut aufgestellt, betont aber: „Der Mittelstand muss die Transformation in der Wirtschaft mitgestalten und darf nicht nur darauf reagieren. Sonst geht die gute Ausgangsbasis verloren und die Mittelständler werden von anderen Unternehmen überholt.“

Böllhoff fordert von der Politik, die geeigneten Rahmenbedingungen für den Strukturwandel zu schaffen und eine leistungsfähige digitale Infrastruktur anzugehen: „Dabei kommt es jetzt auf Geschwindigkeit an, sonst wird Deutschland einen Standortnachteil im internationalen Wettbewerb haben.“ Klimaschutz und Wirtschaftskraft sind für ihn dabei keine Gegensätze. Im Gegenteil: Klimaneutralität, Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft bieten dem Mittelstand Chancen für innovative Geschäftsmodelle, so Böllhoff.

Wettbewerbsfähigkeit in Zeiten des digitalen Wandels

RATIO kompakt: Sehr geehrter Herr Böllhoff, die Prognos AG liefert der Wirtschaft seit rund 60 Jahren Analysen, bietet Orientierung und Entscheidungshilfe. Wie robust ist aus Ihrer Sicht der baden-württembergische Mittelstand, ist er gut aufgestellt, sehen Sie Defizite und Risiken?

Christian Böllhoff: Der Mittelstand in Baden-Württemberg ist robust aufgestellt. Tüftler und innovative Unternehmen sowie zahlreiche Hidden-Champions und Weltmarktführer bieten eine vielfältige Unternehmensstruktur und Produkte an und entwickeln diese weiter. Baden-Württemberg verfügt mit 157 Weltmarktführern über mehr als ein Drittel (34 Prozent) aller deutschen Weltmarktführer - und das bei einem Bevölkerungsanteil von etwa 13 Prozent.

Gleichwohl gibt es gerade für den Mittelstand Risiken und Herausforderungen im Hinblick auf fortschreitenden globalen Wettbewerb, in dem sich mittelständische Unternehmen behaupten müssen. Dazu kommen immer schnellere Innovationszyklen und technologischer Wandel, bei denen der Mittelstand mithalten muss. Eine besondere Herausforderung dabei möchte ich betonen: Der Mittelstand hat oftmals nicht so große personelle wie finanzielle FuE-Kapazitäten wie Konzerne. Vor allem der industrielle Mittelstand, der in vielen Regionen in Baden-Württemberg das wirtschaftliche Herzstück darstellt, läuft im Kontext der Digitalisierung Gefahr, zum reinen Hardware-Lieferanten zu werden und gegenüber Wettbewerbern mit hoher IT- und Softwarekompetenz den Anschluss zu verlieren.

Innovative Lösungen für den Mittelstand

RATIO kompakt: Was sind die wichtigsten Zukunftsaufgaben, vor denen insbesondere der Mittelstand steht, wie kann er sich diesen Herausforderungen stellen?

Christian Böllhoff: Der Mittelstand muss die Transformation in der Wirtschaft mitgestalten und darf nicht nur darauf reagieren. Sonst geht die gute Ausgangsbasis verloren und die Mittelständler werden von anderen Unternehmen überholt - und das übrigens auch von branchenfremden Unternehmen wie beispielsweise IT, die mit innovativen Lösungen in den Markt drängen und teilweise deutlich agiler sind als „klassische“ produzierende Betriebe. Ich nenne einige Stichworte: Nachhaltigkeit, Dekarbonisierung der Wirtschaft, Klimaneutralität und steigende Energiekosten sind gerade für produzierende Mittelständler eine große Zukunftsaufgabe, die eine komplette Umstrukturierung des Betriebs und der Abläufe bedeuten kann.

Dazu kommt die Fachkräftegewinnung und -sicherung im Kontext sich verändernder Berufsbilder und neue und vielfältige Anforderungen an Fachkräfte. Durch die vielfältige Hochschullandschaft mit hoher Anwendungsorientierung, den Hochschulen für angewandte Wissenschaften (HAW) und Dualen Hochschulen Baden-Württemberg (DHBW), hat Baden-Württemberg hier einen gewissen Vorsprung in der Fachkräfteausbildung. Hier gilt es Stärken zu stärken und die gute und enge Vernetzung von akademischer und beruflicher Ausbildung mit den Bedarfen der Unternehmen weiterzuentwickeln.

Geschäftsmodelle von KMU auf dem Prüfstand

RATIO kompakt: Wo sehen Sie aktuell die besten Chancen für mittelständische Unternehmen, Geschäft zu machen und Arbeitsplätze zu sichern? Immerhin sehen wir viele Automobil-Zulieferer im Land, die sich neu ausrichten müssen.

Christian Böllhoff: Chancen für mittelständische Unternehmen und gerade auch Automobil-Zulieferer bestehen in der Erschließung neuer Märkte, z.B. durch cross-sektorales Zusammenarbeiten, indem Schnittstellen zu anderen Branchen und Unternehmen identifiziert und eigene Produkte und Know-how weiterentwickelt werden.

Für Zulieferer, die sich jetzt schnell und agil anpassen und ihr Produktportfolio erweitern, entstehen durch den Trend des vernetzten und autonomen Fahrens viele Möglichkeiten. Die Automobil-Zulieferer dürfen das Feld, vor allem im Kontext der CASE-Technologien, nicht komplett den IT-Unternehmen überlassen, sondern müssen aktiv die Kooperation mit diesen suchen.Während die großen Automobilhersteller auf die Transformation reagieren können, fehlt den KMU oft Zeit und Ressourcen, um an morgen und übermorgen zu denken. Im Jahr 2019 haben Großunternehmen im Schnitt 4,2 Prozent des Umsatzes in Innovation investiert, während KMU im Schnitt 1,5 Prozent für Innovation ausgegeben haben.

Die Gefahr liegt darin, dass die Transformation gerade bei KMU nicht schnell genug voran geht.Aber: auch viele mittelständische Unternehmen, gerade aus der Automobilwirtschaft, haben schon vor der Pandemie eine strategische Weiterentwicklung und Neuausrichtung der Geschäftsmodelle eingeleitet und angestoßen – teilweise auch mit einer Ausrichtung auf neue Kundengruppen und Teilmärkte außerhalb der Automobilwirtschaft und mit einer stärkeren eigenen Ausrichtung auf internationale Märkte – es gibt viele gute Ansätze, an denen man anknüpfen kann, um die Chancen der Transformation zu nutzen.

Netzwerke aus Baden-Württemberg als Innovationstreiber

RATIO kompakt: Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Aufgaben der nächsten Bundesregierung, welche Prioritäten sollte insbesondere das baden-württembergische Wirtschaftsministerium setzen, was sollte die Politik kurz- und mittelfristig leisten?

Christian Böllhoff: Eine Stärke von Baden-Württemberg war immer schon, nicht beim Tüfteln aufzuhören, sondern aus guten Ideen auch erfolgreiche Geschäftsmodelle zu entwickeln. Gerade mit Blick auf die Transformation gilt es, wirksame Instrumente für die Gründungsförderung noch weiter auszubauen und sicherzustellen, dass gute Ideen nicht im „Tal des Todes“ enden.

Der Blick auf Bayern zeigt – da geht doch mehr, vor allem was die erfolgreiche Verknüpfung von privaten Kapitalgebern und Wissenschaftseinrichtungen in der Gründungsförderung anbetrifft. Mit UnternehmerTUM, einem innovativen Netzwerk für Gründerinnen und Gründer, ist das in Bayern sehr erfolgreich gelungen. Das zeigt sich auch in der Gründungsintensität – während Bayern hier vor dem Bundesschnitt liegt, ist in Baden-Württemberg noch Aufholpotenzial erkennbar. Gute Ideen und Innovationen entstehen auch durch eine aktive und dauerhafte Vernetzung der wichtigen Akteure aus Wirtschaft und Wissenschaft – hier können noch mehr Innovationspotenziale gehoben werden.

Dazu kann auch ein besserer Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen für den Mittelstand beitragen. Ich denke da an die Vernetzung der Akteure zu einem branchenübergreifenden Austausch zu Schnittstellenthemen, die Entwicklung von neuen Formaten des Wissenstransfers, die gezielt auf Bedarfe von Mittelständlern ausgerichtet sind bzw. geeignete Beratungsangebote schaffen, und die die genannten Zukunftsaufgaben aufgreifen.

Es gilt jetzt, die Schaffung von geeigneten Rahmenbedingungen für die Bewältigung des Strukturwandels und der Transformation durch den zügigen Ausbau leistungsfähiger digitaler Infrastruktur anzugehen. Dabei kommt es jetzt auf Geschwindigkeit an, sonst wird Deutschland einen Standortnachteil im internationalen Wettbewerb haben.

Auch der Bürokratieabbau ist eine sehr wichtige Voraussetzung, um den benötigten Infrastrukturausbau zügig voranzubringen. Die Pandemie hat gezeigt, was alles auch digital geht – hier liegen Potenziale für effizientere und schnellere Verwaltungsprozesse. Viele Mittelständler wünschen sich das schon lange.

Nachhaltig und profitabel wirtschaften: die Zukunft für den Mittelstand

RATIO kompakt: Blicken wir auf das Thema Klimawandel und Klimapolitik. Sie räumen gerne mit den Klima-Mythen auf und beschreiben die Chancen für nachhaltiges Wirtschaften. Was ist zu tun?

Christian Böllhoff: Wir sollten uns jetzt ambitionierte Ziele setzen. Denn wenn wir jetzt starten, können wir sie noch erreichen. Und wir sollten aufräumen mit dem Gedanken, dass Klimaschutz und Wirtschaftskraft Gegensätze seien. In der Klimaneutralität liegt auch für den Mittelstand eine Chance – es ergeben sich im Zuge der Dekarbonisierung von Verkehr und Konsum auch neue und nachhaltige, das heißt dauerhaft durchhaltbare Geschäftsmodelle unter anderem im Kontext der Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft.

 

RATIO kompakt: Die Antwort des RKW BW darauf lautet übrigens: Aufbau eines Beratungsschwerpunkts für nachhaltige Kreislaufwirtschaft, wir nennen das: Nachhaltig profitabel. Wir unterstützen mittelständische Unternehmen beim Transformationsprozess: Nachhaltigkeit und Wachstum, geht das aus Ihrer Sicht zusammen?

Christian Böllhoff: Geschäftsmodelle und Produkte müssen an Anforderungen des Klimawandels angepasst werden, einerseits gilt es, das eigene Unternehmen nachhaltig aufzustellen, andererseits stellen auch nachhaltige Produkte und dazugehörige Services einen weltweit wachsenden Markt dar, auf dem in Zukunft eine hohe und steigende Nachfrage zu erwarten ist.

Innovativen Mittelständlern aus Baden-Württemberg bieten sich dadurch neue Wachstumsperspektiven.Dabei helfen praxis- und ortsnahe Beratungsangebote für die Unternehmen, wie das RKW BW diese anbietet. Prognos begleitet diese Themen wiederum auf der politischen Ebene zum Beispiel bei der Landesregierung, den Städten und Kreisen, sowie den Verbänden.

Bildquellen und Copyright-Hinweise
  • © © Prognos AG/FOTOS Koroll / Privat/Non-kommerziell – Christian Böllhoff, Geschäftsführender Gesellschafter Prognos AG (prognos_koroll_boellhoff_christian_quer_300dpi_weniger_formelle_nutzung.jpg)

Nachhaltig profitabel werden

Im Rahmen des Mittelstandsprojekts "Nachhaltig profitabel" begleitet das RKW BW ab 2022 mittelständische Unternehmen individuell auf ihrem Weg zu nachhaltiger Profitabilität. Sie möchten auch dabei sein? Melden Sie sich bei uns für eine unverbindliche Erstberatung.

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