Seit knapp zwei Jahren setzt er sich als Geschäftsführer von Baden-Württemberg International für Standortmarketing und Internationalisierung ein. Im Interview mit RATIO kompakt betont er: „Wir positionieren Baden-Württemberg als relevanten Start-up-Hotspot in Europa. Ziel dabei ist es, neben ausländischen Start-ups auch Investoren nach Baden-Württemberg zu ziehen.“ Viel Potenzial sieht er bei der Finanzierung von Start-ups insbesondere durch Family Offices – und bei der Zusammenarbeit von Start-ups mit Mittelständlern im Land.
„Die Herausforderung besteht darin, dass Baden-Württemberg unheimlich viel zu bieten hat, dies aber zu wenig national wie international bekannt ist“
- Dr. Christian Herzog, Geschäftsführer von Baden-Württemberg International (bw-i)
RATIO kompakt: Sehr geehrter Herr Dr. Christian Herzog. Seit knapp zwei Jahren sind Sie Geschäftsführer von Baden-Württemberg International (BW_i), zuvor waren Sie als Wirtschaftsförderer in Berlin tätig. Mit dem Blick des Berlin-Experten: Was sind die besonderen Herausforderungen des Standorts Baden-Württemberg, immerhin gibt es hier sehr viele Hidden Champions?
Dr. Christian Herzog: Die Herausforderung besteht darin, dass Baden-Württemberg unheimlich viel zu bieten hat, dies aber zu wenig national wie international bekannt ist. Aus der Hauptstadt kommend habe ich Demut gelernt, als ich erfahren habe, wie weit wir im Südwesten in Zukunftsthemen wie Künstlicher Intelligenz oder Quantencomputing sind – in der Wirtschaft und vor allem in der Wissenschaft. So haben wir mit dem Cyber Valley in Tübingen und Stuttgart das größte Forschungsnetzwerk Europas zu KI im Land; das wissen aber leider nur wenige. Und genau hier liegt mein Ansatz: Wie schaffen wir es, dass der Rest der Welt das herausragende Innovationspotenzial in The Länd wahrnimmt? Zum Beispiel mit der internationalen KI-Allianz, die ich im vergangenen Jahr zusammen mit Regionen aus Kanada und den USA, der Schweiz, den Niederlanden und Dubai gegründet habe. Mit diesem Themenverbund positionieren wir uns weltweit als die relevanten KI-Hubs und werden dadurch extrem sichtbar.
Oft hört man, dass schwäbische Start-ups mit Potenzial - zum Beispiel aus Hochschulen - gerne nach Berlin gehen, weil dort die Entfaltungsmöglichkeiten besser sind und die Chancen auf Zugang zu Finanzinvestoren größer. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Für Start-ups sind in der Regel zwei Standortfaktoren relevant: Zum einem gehen sie dorthin, wo das Kapital sitzt, und zum anderen, wo sie die richtigen Talente und Kunden finden. In Sachen Kapital ist Berlin im europäischen Vergleich Spitze bezogen auf Venture Capital-Runden. Hier haben wir aktuell im Südwesten Nachholbedarf. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir in Baden-Württemberg Start-ups auch Zugang zu großen Finanzierungen bieten könnten. Wir haben über 100 Family Offices im Land, die investieren. Zudem sind hier viele wichtige und innovative Unternehmen angesiedelt, die Start-ups als potenzielle Kunden für ihr Wachstum und Kooperationen benötigen. Dies ist ein immenser Schatz, den wir gemeinsam heben müssen.
Wie bewerten Sie den Standort Baden-Württemberg für Start-ups, welche Schwerpunkte setzt Baden-Württemberg International?
Das Start-up-Länd hat Gründerinnen und Gründern einiges zu bieten: starke Ökosysteme, Top-Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit Fokus auf zukunftsorientierte Technologien, Unterstützungsprogramme des Landes wie Start-up BW Pre-Seed oder Invest BW und – wie schon oben erwähnt – der gute Zugang zu Kunden vor allem aus dem B2B-Bereich. So landet Baden-Württemberg etwa in einem bundesweiten Ranking der „Top 50 Start-ups“ 2021 gemeinsam mit Nordrhein-Westfalen auf dem ersten Platz. Gleich neun hiesige innovative Start-ups sind in der Rangliste vertreten – das unterstreicht unsere Attraktivität für Jungunternehmen.
Wir bei BW_i sehen folgende Schwerpunkte unserer Arbeit: Wir wollen ausländischen Start-ups Orientierung geben, indem wir das international zugängliche Angebot sammeln und nach außen tragen. Zudem positionieren wir Baden-Württemberg im Rahmen des Standortmarketings als relevanten Start-up-Hotspot in Europa. Ziel dabei ist es, neben ausländischen Start-ups auch Investoren nach Baden-Württemberg zu ziehen.
Der RKW BW e.V. hat mit „Start-up meets Mittelstand“ ein Projekt gestartet, das Mittelständler und Start-ups bei der Kooperation unterstützt, quasi als Brückenbauer und Innovationsmanager. Welche Erfahrungen haben Sie als Wirtschaftsförderer mit Kooperationen zwischen Start-ups und mittelständischen Unternehmen gemacht?
Solche Projekte sind wichtig. Denn teilweise sprechen Start-ups und Mittelständler nicht immer die „gleiche“ Sprache. Hier trifft erfolgreiches Unternehmertum mit langjährigen Erfahrungen auf neue und aufstrebende Jungunternehmen. Da sind oftmals Konflikte vorprogrammiert – und es werden Brückenbauer wie das RKW BW gebraucht. Aber letztendlich entsteht aus einer Kooperation für beide Partner eine Win-win-Situation: Start-ups agieren in der Regel schnell und haben häufig technologiebasierte Geschäftsmodelle. Mittelständler profitieren bei einer projektbezogenen Zusammenarbeit von der Agilität der Gründerinnen und Gründer. Start-ups können ihre ersten Referenzkunden gewinnen und vom Netzwerk sowie der Erfahrung des Mittelständlers lernen.
Bei BW_i konzipieren wir – wo immer möglich – unsere Veranstaltungen für beide Zielgruppen. Es hat sich gezeigt, dass etablierte Mittelständler und Start-ups von der gemeinsamen Teilnahme an Delegationsreisen oder Messen profitieren und die Gelegenheit zum Austausch und zur Kooperationsanbahnung nutzen.
Bei der Ansiedlung ausländischer Unternehmen könnte Baden-Württemberg noch Boden gut machen, auch mit Blick auf die Zusammenarbeit mit Start-ups. Wie ist Ihre Einschätzung?
The Länd ist nach wie vor sehr interessant für Investoren und Unternehmen, welche den deutschen oder auch europäischen Markteinstieg planen. Dennoch ist es Fakt, dass die letzten Großansiedlungen aus dem Ausland an Baden-Württemberg vorbeigegangen sind. Dies hat die Landesregierung erkannt und reagierte jüngst mit einer eigenen Ansiedlungsstrategie, bei der BW_i eine herausragende Rolle zugeschrieben wird. Danach sollen gezielt Unternehmen und Start-ups mit innovativen Geschäftsmodellen und Zukunftstechnologien in den deutschen Südwesten geholt werden, vor allem vor dem Hintergrund der notwendigen Transformation der Wirtschaft. Sollten wir hier erfolgreich sein, so wird der Südwesten seine wirtschaftliche Stärke nicht nur sichern, sondern auch ausbauen.
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