Nach zwei Jahren pandemiebedingter Unterbrechung fand am 26. Oktober wieder ein Forum des RKW Baden-Württemberg im Plenum der BW-Bank in Stuttgart statt. Wie dringlich ein Austausch über die aktuelle Lage und die daraus resultierenden Konsequenzen ist, machte bereits der Titel des RKW-Forums deutlich: „Globale Zeitenwende – hat das Geschäftsmodell Deutschland eine Zukunft?“ lautete die Leitfrage für die Expertenrunde.

Bevor diese zusammentrat, begrüßte Martin Peters, der Vorstandsvorsitzende des RKW Baden-Württemberg e. V., rund 300 Besucherinnen und Besucher. Er legte dar, wie drastisch sich die gegenwärtige Krise auf die Wirtschaft auswirkt. Mit Russland sei der wichtigste Lieferant für Rohstoffe und Energie weggebrochen. „Gleichzeitig ist mit China einer unserer wichtigsten Absatzmärkte mit großen Fragezeichen für die Zukunft versehen“, sagte Peters. Der Wohlstand in Deutschland und speziell in Baden-Württemberg basiere aber gerade auf der ausgeprägten Exportorientierung und der weltweiten Vernetzung. Aus seiner täglichen Arbeit mit mittelständischen Unternehmen im Land wisse man beim RKW BW nur zu gut, dass die aktuelle Situation in einigen Fällen heute schon existenzbedrohend für die Firmen sei.

Wirtschaftsministerin Hoffmeister-Kraut: „Produktion wo immer möglich entlasten“

In ihrem anschließenden Grußwort betonte die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut, dass sich die Politik über die Dimension der Herausforderung im Klaren sei: „Diese Krise wiegt schwer. Sie ist mit nichts zu vergleichen. Ausgelöst wurde die Krise durch einen exorbitanten Anstieg von Energie- und Rohstoffpreisen. Sie hat das Potenzial, zu wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen zu führen. Ihre Bekämpfung wird nicht leicht. Es gibt keinen Königsweg, sondern nur einen mehr oder weniger klugen Policy Mix. Das Problem dieser Knappheitskrise mit hoher Inflation an der Wurzel anzugehen, heißt, Produktion – wo immer möglich – zu entlasten und zu erleichtern und insbesondere alle Energieerzeugungskapazitäten im eigenen Land zu nutzen“, sagte Nicole Hoffmeister-Kraut.

Wirtschaftsforscher Clemens Fuest: Gasmangellage vermeiden, Brückenversorgung aufbauen

Den Impulsvortrag des Abends hielt Prof. Clemens Fuest. Der Präsident des Münchner ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung und renommierte Ökonom zitierte aus den regelmäßigen Umfragen seines Instituts unter deutschen Unternehmen. Die Lieferprobleme, von denen inzwischen mehr als 60 Prozent aller produzierenden Betriebe betroffen seien, hätten ebenso ein historisch nie dagewesenes Ausmaß erreicht wie die Geschwindigkeit, mit der in Deutschland zuletzt die Inflation angestiegen sei. In dieser Situation müssten drei Themenfelder vorrangig bearbeitet werden, forderte Fuest: Die Vermeidung einer Gasmangellage im Land, die eine Rezession wie in der weltweiten Depression der 1930er Jahre auslösen könnte, nannte er an erster Stelle. Zudem gelte es, eine sichere Brückenversorgung mit Energie sicherzustellen, bis die regenerativen Energien hinreichend ausgebaut seien. Als dritte Hauptaufgabe bezeichnete Fuest die Erarbeitung einer geoökonomischen Strategie für das Land.

Fuest fordert volkswirtschaftliches Risikomanagement

Als kontraproduktiv bewertete das Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesfinanzministerium ein „Heruntersubventionieren“ des Gaspreises. Niemand solle frieren, aber es dürften keine Anreize gesetzt werden, mehr zu verbrauchen als unbedingt nötig. In der Energieversorgung solle man alle vorhandenen Systeme so lange nutzen, bis neue Kapazitäten aufgebaut seien. Beim Thema Außenhandel schlug Fuest vor, weiterhin auf den Export zu setzen, aber die aus der Globalisierung resultierenden Gefahren durch ein volkswirtschaftliches Risikomanagement einzuhegen.

Joachim Schulz von Südwestmetall: „Krisen durch Wandel überwinden“

Diese Stichworte griffen die Teilnehmer der anschließenden Diskussionsrunde auf. Neben Clemens Fuest und Martin Peters nahmen daran die Geschäftsführende Gesellschafterin der Pilz GmbH & Co. KG, Susanne Kunschert, und Dr. Joachim Schulz, seit Mai Vorsitzender von Südwestmetall, teil. Schulz appellierte an die Einsicht, dass Krisen nur durch Wandel überwunden werden könnten. Zu vieles laufe immer noch so ab, wie man es hierzulande eben gewohnt sei. „Wir haben unheimlich viele Absicherungs- und Beharrungsmechanismen und wollen uns nicht gerne ändern“, so Schulz. In konkurrierenden Wirtschaftsräumen wie den USA sei dies anders.

Pilz-Geschäftsführerin Susanne Kunschert: „Wir sind eingeschwenkt auf neues Denken“

Susanne Kunschert betonte, dass gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen die Beschäftigten inzwischen gelernt hätten, sich täglich auf neue Situationen einzustellen und mit ihnen umzugehen. „Bei uns ist die ganze Firma eingeschwenkt auf neues Denken.“ Kein Prozess sei mehr derselbe wie vor der aktuellen Krise. Es habe aber auch gute Seiten, dies als Herausforderung zu begreifen, die man lösen müsse. „Es ist nicht nur schlecht, wenn es nicht immer nur nach oben geht“, findet sie. Zugleich berichtete sie aber auch von existenziellen Liquiditätsproblemen vieler Betriebe, wie es sie in dieser Form noch nie gegeben habe.

RKW BW-Vereinsvorsitzender Peters: „Liquiditätshilfen sind das Gebot der Stunde“

Dieser Umstand bedrohe gerade kleine und mittlere Unternehmen, bestätigte Martin Peters. Es gehe bei vielen momentan nicht in erster Linie um Gewinn. Angesichts voller Lager und ins Stocken geratener Projekte wegen unterbrochener Lieferketten oder mangelnder Abnahme durch die Kunden seien unbürokratische Liquiditätshilfen seitens der Politik das Gebot der Stunde. Clemens Fuest unterstützte die Forderung nach neuen Instrumenten: „Kurzarbeit ist toll, wenn die Wirtschaft nach der Krise genau so weiter machen soll wie vorher. Aber wir sind jetzt in einer anderen Situation“, so Fuest.

Clemens Fuest lobt ungeheure Agilität im Mittelstand

Dem Mittelstand bescheinigte er eine „ungeheure Agilität“ in solchen Situationen, weil Handlungsbereitschaft und Verantwortung dort dicht beieinander lägen. Als Gesellschaft aber sei Deutschland „unglaublich langsam“. Ein Schlüssel für eine erfolgreiche Bewältigung der Krise sei deshalb die Bereitschaft, immer wieder neu nachzudenken und zu handeln, wenn die Fakten sich änderten.

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