Der RKW BW-Fachberater Arndt Bantle rechnet in 2022 mit einer steigenden Zahl an Insolvenzen bei mittelständischen Unternehmen, weil viele KMU nicht vorbereitet sind auf die Normalität nach dem Auslaufen des „Corona-Schutzschirms des Staates“.

Der Unternehmensberater mit den Schwerpunkten Sanierung, Restrukturierung und Turnaround nennt als wichtigste Gründe: Fehlende Kapitaldienstfähigkeit durch höhere Verschuldung und nicht ausreichende Liquiditätsplanung zur Prävention. Bantle plädiert für Risikofrüherkennung durch Frühwarnsysteme. Im Interview erläutert der Restrukturierungsberater die Chancen und die Pflichten, die sich aus dem Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG) ergeben.

„Risikomanagement und zahlenbasierte Unternehmenssteuerung sind primär eine Managementaufgabe. Ohne die klare Formulierung von Vision und Strategie und daraus abgeleiteten operativen Maßnahmen sowie deren Überführung in die Zahlenwelt ist dies schwierig umzusetzen bzw. suboptimal. Ich muss am Ende als Unternehmenslenker ja wissen, wann betrachte ich eine Veränderung als mögliches bzw. schon akutes Risiko, das zum Handeln zwingt.“
– Arndt Bantle, RKW BW-Fachberater

 

RATIO kompakt: Herr Bantle, wie schätzen Sie die aktuelle Situation im Hinblick auf drohende Insolvenzen für mittelständische Unternehmen in Baden-Württemberg ein? 

Arndt Bantle: Der Mittelstand in Baden-Württemberg ist durch die Corona-Krise beschleunigten Anpassungen und Veränderungen ausgesetzt. Strategie und Geschäftsmodelle sind zu hinterfragen, Wertschöpfungsprozesse zu optimieren und die Digitalisierung kostenreduzierend zu nutzen. Dies betrifft auch die Unternehmenssteuerung und das Controlling. Hier muss man sich zum Teil neu orientieren bzw. auch die ganzheitliche Sicht fokussieren – insbesondere die Wettbewerbsfähigkeit und die Attraktivität für die Kunden.

Ich denke, dass die Zahl der Insolvenzen steigen wird. Dies aus zwei Gründen: Viele Mittelständler sind noch nicht gut genug vorbereitet auf die Normalität nach dem Auslaufen des „Corona-Schutzschirms des Staates“. Gründe sind: Fehlende Kapitaldienstfähigkeit durch höhere Verschuldung und nicht ausreichende kurz- bis mittelfristige Liquiditätsplanungen zur Prävention.

Der Veränderungsbedarf ist nicht wirklich identifiziert bzw. umgesetzt, notwendige Finanzmittel sind bei schwächerer Ertragslage und fehlender Substanz schwieriger zu realisieren.

Bei den Branchen kann ich nur für die Fertigungsindustrie sprechen, also insbesondere Automotive oder Maschinenbau. Viele Mittelständler sind aus meiner Sicht aktuell Lieferketten- und Preisproblemen ausgesetzt. Nicht alle können dies an die Endkunden weitergeben.

Es gibt aber auch Profiteure aus der digitalen Welt wie Softwareunternehmen. Jedes Unternehmen ist individuell zu betrachten.
 

Drohende Zahlungsunfähigkeit könnte aufgrund der Corona-Krise und deren Folgen für etliche KMU ein ernstes Problem werden, verursacht etwa durch Forderungsausfälle und auslaufenden Überbrückungskrediten. Wie ist Ihre Einschätzung?

Ich denke hier sprechen Sie einen zentralen Punkt an. Mit Einführung des StaRUG, dem  Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz zum 1. Januar 2021, wurden zwar Vorschriften zur Krisenfrüherkennung und -management sowie die Pflicht für Gegenmaßnahmen gesetzlich geregelt.

Viele Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer von mittelständischen Unternehmen fragen sich doch: Wie setze ich das um, mit welchen Kennzahlen, insbesondere im Finanzbereich? Wo greift das Insolvenzrecht, bzw. wie grenzt sich die Zahlungsunfähigkeit von der drohenden Zahlungsunfähigkeit ab?

Letztendlich müssen KMU wie auch große Mittelständler eine integrierte Unternehmensplanung insbesondere zur Überwachung der Liquidität haben und fortschreiben. Hier bilden sich ganzheitlich Strategie, Wertschöpfung und alle Prozesse zahlenbasiert ab.
 

Welche Pflichten ergeben sich für Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer daraus konkret?

Um einer persönlichen Haftung zu entgehen, ist in § 1 StaRUG eine Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement geregelt.

In der Praxis steht am Ende zumindest eine der Unternehmensgröße und -komplexität angepasste Planungsrechnung, die daraus abgeleitet die Zahlungsfähigkeit dokumentiert bzw. frühzeitig Engpässe erkennt und in Zahlen ausdrücken kann. Hier werden 24 Monate als relevanter Planhorizont definiert.

Auch die eingeleiteten Gegenmaßnahmen zur Beseitigung möglicher Deckungslücken sind zu dokumentieren. Im Vorfeld sind aber natürlich auch andere Risiken zu identifizieren und zu bewerten, und natürlich ist es wichtig gegenzusteuern, noch bevor es in der Liquidität sichtbar wird.

Ein gutes internes oder durch einen Unternehmensberater aufgebautes, externes Controlling bilden die Anforderungen aber sicher ab.


Eine Möglichkeit, die aus unserer Erfahrung im Mittelstand trotz StaRUG noch viel zu wenig angewendet wird, ist gerade die Etablierung eines Frühwarnsystems zur Krisenfrüherkennung.
Ist der Mittelstand hierfür zu wenig sensibilisiert, weil es seit der Finanzkrise 2008 mehr als zehn Jahre lang für viele Unternehmen sehr gut lief?

Dies ist sicherlich auch ein richtiger Punkt, den Sie ansprechen. Relevant scheint mir aber auch vielfach die fehlende Kapazität bzw. nicht vorhandene Expertise zu sein. Oft wird hier am falschen Ende gespart. Hier passt die Aussage: „Man arbeitet im und nicht am Unternehmen.“
 

Welche Chancen bietet die Einrichtung eines Frühwarnsystems und die Etablierung von Risikomanagement?

Risikomanagement und zahlenbasierte Unternehmenssteuerung sind primär eine Managementaufgabe. Ohne die klare Formulierung von Vision und Strategie und daraus abgeleiteten operativen Maßnahmen sowie deren Überführung in die Zahlenwelt ist dies schwierig umzusetzen bzw. suboptimal.

Ich muss am Ende als Unternehmenslenker ja wissen, wann betrachte ich eine Veränderung als mögliches bzw. schon akutes Risiko, das zum Handeln zwingt.

In der Praxis wird die Frühwarnfunktion über Kennzahlen aus den relevanten Bereichen gesteuert. Vereinfacht gesagt: Soll-Ist-Abgleich plus Definition von Schwellenwerten. Die Kunst ist, ganzheitlich die für ein Unternehmen relevanten Kennzahlen in ein effektives Risikomanagement zu überführen.

In Bezug auf die Liquidität ist natürlich ein integrierter und rollierender Plan mit Soll-Ist-Abgleich ein Muss.
 

Das StaRUG regelt das Restrukturierungsrecht, Sie haben es schon kurz erwähnt. Wen und was umfasst dieses Gesetz?

Das StaRUG ergänzt als moderner Baustein das bestehende Restrukturierungs- und Insolvenzrecht zwischen der außergerichtlichen Sanierung mit IDW S6-Gutachten und Fortführungsprognosen und der gerichtlichen Restrukturierung, also der Insolvenzordnung.

Ziel ist es, den in die Krise geratenen Mittelständler mehr Gestaltungsoptionen zu geben. Über das klar geregelte Verfahren, namentlich dem Restrukturierungsplan und die Sanierungsmoderation, können notwendige Maßnahmen schneller und vielfach über Widerstände hinweg umgesetzt werden.

Für mich wesentlicher ist aber die Kodifizierung der Krisenfrüherkennung und des Krisenmanagements für das haftungsbeschränkte Unternehmen wie zum Beispiel die GmbH.

Mit dem StaRUG wird explizit ein System zur Früherkennung von finanziellen Risiken eingefordert, mit dem über einen Zeitraum von jeweils 24 Monaten eine drohende Zahlungsunfähigkeit erkannt werden kann. Das verpflichtende Frühwarnsystem zielt dabei auf den ganzheitlichen Ansatz potenzieller Unternehmensrisiken.
 

Herr Bantle, Sie werden häufig gerufen, wenn sich ein Unternehmen in der Liquiditätskrise befindet. Wie wird aus Ihrer Sicht die Bestandsfähigkeit von KMU am besten gewährleistet?

Zur Bestandssicherung von KMU gehören eine klare Strategie sowie ein nachhaltiges Geschäftsmodell.

Die Strategie und das Geschäftsmodell sollten frühzeitig in eine Planrechnung überführt und laufend plausibilisiert bzw. fortgeschrieben werden. Die Prozessabläufe in der Wertschöpfung, aber auch in den Managementprozessen und explizit im Controlling sollten effizient aufgestellt und mittels Digitalisierung transparent unterstützt werden.

Hier schließt sich auch der Kreis zum Grundgedanken des StaRUG. Risikofrüherkennung sollte bereits vor der akuten bzw. kommenden Liquiditätskrise ansetzen, und alle Aspekte berücksichtigen. Hierzu gibt es Frühwarnsysteme und Kennzahlen von der Strategie bis zur Produktion, die das negative Abweichen von der Soll-Konzeption rechtzeitig ankündigen und gegebenenfalls Anpassungen einfordern.

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  • © Jürgen Reiter / Sonstige/Kommerziell – Arndt Bantle (Arndt_Bantle_komprimiert.jpg)

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