Personalentwicklung im Mittelstand ist facettenreich. Es scheint, als würde jedes Unternehmen seinen ganz eigenen Weg finden, um Beschäftigte für die Herausforderungen von morgen zu rüsten. Aber spätestens, wenn das Unternehmen eine gewisse Größe erreicht hat, man zwischen verschiedenen und möglicherweise sehr unterschiedlichen Weiterbildungsaktivitäten wählen muss und vielleicht sogar jemanden dafür bezahlt, sich als Personalentwickler*in um dieses Thema zu kümmern, sind Überblick und Steuerung gefragt. Aus Sicht der Geschäftsführung ist eine zentrale Koordination der Personalentwicklung vor allem deshalb attraktiv, weil die Zuordnung von Personen und Stellen ein hochgradig wirksames Führungsinstrument ist: Vieles, was man sonst mühsam über Leitbilder, Zielvereinbarungen, Strategiemeetings und ähnliches einsteuern müsste, wird überflüssig, wenn die richtige Person am rechten Platz in der Organisation sitzt.
Vor diesem Hintergrund sind einfache Kompetenzmodelle gefragt, die die Personalabteilung, Geschäftsführung und Führungskräfte mit Informationen darüber versorgen, wer was wie gut kann. Hat man sich vorab über eine einheitliche Struktur und darüber verständigt, auf welche Kompetenzen es künftig besonders ankommt, sorgt ein solches System darüber hinaus auch für eine gemeinsame Sprache in Personalentwicklungsangelegenheiten und darüber hinaus. Hat man sich dafür entschieden, ein unternehmensweites Kompetenzmodell einzuführen, lohnt sich der Blick auf das, was bereits da und erprobt ist. Die Auswahl an Kompetenzmodellen und -katalogen ist breit. Da sich strategisch wichtige Kompetenzen an der spezifischen Wettbewerbsposition eines Unternehmens orientieren und damit individuell sind, kann ein Katalog „von der Stange“ allerdings nur grober Orientierungsrahmen sein. Das nachfolgende EntreComp-Modell ist ein solcher Ausgangspunkt, mit dem wir gute Erfahrungen gemacht haben, da es leicht verständlich und in einer gut nachvollziehbaren Struktur organisiert ist.
Das EntreComp-Modell
Das EntreComp-Modell setzt bei überdauernden und überfachlichen Kompetenzen an, um die individuellen Zukunftskompetenzen eines Unternehmens und seiner Teilbereiche abzuleiten. Fachliche Kompetenzen werden anschließend arbeitsplatznah bestimmt.
Ein Blick in die Praxis
Die Einführung von Kompetenzmodellen und entsprechenden Managementsystemen ist nicht nur wettbewerbsrelevant. Gerade aufgrund der operativen Relevanz sind vielmehr viele kleine oder große Details entscheidend. Darum freuen wir uns besonders, dass Ramona Stehle, Business Expertin vom RKW Baden-Württemberg, uns mit ihrer Erfahrung und Expertise Rede und Antwort steht.
RKW: Liebe Ramona, Du hast nun ja einige Projekte begleitet, in denen mittelständische Unternehmen Kompetenzmodelle eingeführt und umgesetzt haben. Damit ist dieses Thema ja auch eines Deiner persönlichen Steckenpferde. Fangen wir also am Anfang an: Warum sollte man zumindest mal darüber nachgedacht haben, die Personalentwicklung über ein einheitliches Kompetenzmodell zu organisieren?
Ramona Stehle: In all unseren Projekten konnten wir feststellen, dass es rund 10 bis 12 überfachliche Kompetenzen sind, die die Wettbewerbsposition eines Unternehmens fundamental stützen. Heute sind die Arbeitsmärkte oft eng und Geschäftsmodelle regelmäßig im Wandel. Unternehmen, die wissen, auf welche Fähigkeiten und Fertigkeiten es heute und in Zukunft ankommt, sind daher im Vorteil. Sie können frühzeitig reagieren und die Kompetenzen der Mitarbeitenden mit den Anforderungen ihres Geschäfts rechtzeitig in Einklang bringen.
Das klingt natürlich einleuchtend. Wer möchte nicht den Erfolg von Morgen vorsteuern. Aber wenn alles im Wandel ist, ändern sich nicht auch die Kompetenzanforderungen schneller als es mithilfe eines Kompetenzmodells einzufangen wäre? Und falls das stimmen sollte, schränken solche überalterten Kompetenzanforderungen nicht unverhältnismäßig ein?
Im Detail mag das stimmen, im Laufe der Zeit mögen sich fachliche Anforderungen oder die Vorstellungen verändern, welches Verhalten man sich vorstellt, wenn man die überfachlichen Kompetenzen beschreibt. Dass sich die 10 bis 12 genannten Basiskompetenzen innerhalb weniger Jahre verändern, ist allerdings ausgesprochen selten. Eher kommt es zu Ergänzungen, weil man feststellt, dass diese oder jene Kompetenz im Wandel wichtiger wird. Alles in allem bleibt ein solches System aber gut handhabbar. Und wenn man sich vornehmlich auf die überdauernden überfachlichen Kompetenzen konzentriert, kommt es auch nicht zu unverhältnismäßigen Einschränkungen des Verhaltens. Man darf diesen Kompetenzkatalog dann eher als Orientierung verstehen, als Baukasten für unterschiedliche Situationen und Unternehmensbereiche.
Also gut, dann wären wir dort, wo Norddeutsche vielleicht so etwas sagen wie „Butter bei die Fische“. Angenommen wir starten bei null, also in einem mittelständischen Unternehmen, das bislang ohne Kompetenzmodell und vielleicht sogar ohne Strategiediskurs ausgekommen ist: Gibt es so etwas wie eine einheitliche Methodik, nach der es vorgehen kann?
Ja, wir arbeiten im Grunde immer nach einem ähnlichen Strickmuster: Alles beginnt mit der strategischen Ebene. Die Geschäftsführung, die Personalleitung und – falls vorhanden – die Person, die für Personalentwicklung zuständig ist, erarbeiten in einem ersten Schritt die strategische Ausrichtung für die kommenden Jahre. Mithilfe von Visionsarbeit, Geschäftsmodellentwürfen und Trendanalysen verschafft man sich den Rahmen für alles weitere. Anschließend nehmen wir ein Kompetenzmodell zur Hand, beispielsweise das EntreComp-Modell der EU oder den KODE-Kompetenzatlas, und diskutieren in diesem Kreis, worauf es heute und in Zukunft besonders ankommt, um die Unternehmensziele zu erreichen. Gibt es viel Unterschiedlichkeit in den Annahmen oder ist die Gruppe sehr groß, weil etwa der gesamte Führungskreis mitarbeitet, arbeiten wir in Kleingruppen und führen anschließend die Ergebnisse zusammen. Meist passt es dann auf Anhieb. Sonst entscheidet die Chefin oder der Chef. Manche Unternehmenskulturen tragen auch einen demokratischen Beschluss.
Wenn ich das alles recht nachvollzogen habe, hat man nun also einen unternehmensindividuellen Blumenstrauß an wichtigen überfachlichen Kompetenzen. Wie geht es weiter?
Anschließend werden die Kompetenzen dieses Blumenstraußes mit Verhaltensankern beschrieben. Zur Kompetenz „Kommunikationsfähigkeit“ gehört dann vielleicht der Verhaltensanker „Wir erwarten von den Mitarbeitenden, dass sie relevante Informationen selbständig an geeignete Stelle weitergeben und zielgruppengerecht mit Kundinnen und Kunden kommunizieren“. Spätestens dann sind wir bei der operativen Ebene angelangt: Jetzt nehmen wir den individuellen Kompetenzkatalog und beziehen ihn auf die unterschiedlichen Jobfamilien im Unternehmen, schließlich ist Kommunikationsfähigkeit im Vertrieb beispielsweise oft nicht nur wichtiger als „am Band“, sie bedeutet jeweils auch etwas anderes. Auf diese Weise können wir einschätzen, wie wichtig welche überfachliche Kompetenz in welcher Jobfamilie ist und was sie jeweils ausmacht. Das bildet gewissermaßen die Basis, allerdings erweitern wir die jobfamilienspezifische Auswahl um jobfamilienspezifische Kompetenzen. Damit sind wir in Bezug auf den Kompetenzkatalog im Grunde auch bereits am Ende. Hat man sich den Anwendungszweck nicht bereits im Vorfeld gut überlegt, ist spätestens jetzt der Zeitpunkt gekommen, um sich darüber Gedanken zu machen.
Das klingt sehr nachvollziehbar, aber bis auf einen Nebensatz sind die Abteilungs- oder Bereichsleitenden noch gar nicht vorgekommen und Du betonst immer wieder das Überfachliche. Wo sind die Führungskräfte und fachlichen Kompetenzen geblieben?
Gut beobachtet. Richtig, die fachlichen Kompetenzen sind erfahrungsgemäß in den Fachabteilungen gut aufgehoben. Man kann das Fachbezogene dort belassen oder man geht in die Fachabteilungen und erarbeitet dort das fachspezifische Set an Kompetenzen. Der Ablauf unterscheidet sich nicht wesentlich von dem bereits Beschriebenen. Hat man die Wahl, würde ich allerdings immer die zweite Führungsebene in den Gesamtprozess einbeziehen. Damit entsteht mehr Bodenhaftung und Comittment.
Du bist eben nicht weiter auf die konkreten Anwendungsbezüge eingegangen, darüber sollten wir noch kurz sprechen. Was macht man ganz konkret mit einem solchen Kompetenzmodell?
Die Antwort auf diese Frage ist in gewisser Weise trivial und gleichzeitig anspruchsvoll. Überall dort, wo es um die Frage geht, was Mitarbeitende für Fähigkeiten und Fertigkeiten brauchen, kann von einem solchen Kompetenzmodell profitieren. Meistens geht es allerdings um Personalauswahlfragen („Passt eine Bewerberin oder ein Bewerber auch überfachlich zu uns?“), um Potenzialeinschätzung („Hat eine bestimmte Mitarbeiterin oder ein bestimmter Mitarbeiter das Zeug für eine andere Stelle oder einen Aufstieg?“) und um die Personalentwicklung im engeren Sinne („Welche Personalentwicklungsmaßnahme ist für eine Mitarbeiterin bzw. einen Mitarbeiter oder eine Auswahl an Mitarbeitenden passend?“).
Ich versuche mich gerade in die Schuhe eines Personalverantwortlichen in einem Unternehmen mit vielleicht 150 Köpfen zu stellen, der nun Kompetenzkataloge für vielleicht 10 Jobfamilien vor sich hat. Dort sind vielleicht 12 überfachliche und noch einmal ebenso viele fachspezifische Kompetenzen abgebildet und wenigstens im Detail verändert sich das alles auch noch. Wie kann ich da den Überblick behalten?
Darauf gibt es eine recht simple Antwort: allgemein gesprochen hilft sicher die Digitalisierung der Personalprozesse. Konkret bedeutet dies meist die Einführung eines HR-Managers, der auch Skillmanagement kann.
Wunderbar, damit lässt sich doch arbeiten. Magst Du uns abschließend noch ein paar Hinweise mit auf den Weg geben?
Vieles, was wesentlich ist, ist bereits vorgekommen. Zu den Essentials gehört beispielsweise der frühzeitige Schulterschluss zwischen HR und Fachabteilungen. Daher sucht man in einer solchen Situation möglichst früh das Gespräch mit dem Management und holt sich einen konkreten Auftrag für die Einführung eines Kompetenzmodells ab. Dafür ist es meist nötig und sinnvoll, sich frühzeitig zu vergewissern, wozu dieser Kompetenzkatalog dienen soll. Außerdem ist Konzentration wichtig. Fragt man Führungskräfte nach benötigten Kompetenzen, ist schnell sehr vieles wichtig. Das ist der Grundstein für Verzettelung. Achten Sie also darauf, dass nicht mehr als 12 allgemeine überfachliche Kompetenzen zusammenkommen und diese Kompetenzen präzise beschrieben werden.
Das klingt nach viel Aufwand. Kannst Du vielleicht einen groben Rahmen beschreiben, wie lange so ein Prozess dauert?
Die Entwicklung des Katalogs an grundlegenden überfachlichen Kompetenzen dauert abhängig von der Unternehmensgröße selten länger als einen Tag. Dazu kommen pro Jobfamilie vielleicht noch zwei bis drei Stunden in kleinerem Kreise. Alles weitere ist dann sehr individuell und abhängig davon, wie die Personalabteilung bisher arbeitet, welches IT-Umfeld besteht und ob man selbst Expertise in der Implementierung von Softwarelösungen hat.
Liebe Ramona, vielen Dank für dieses außerordentlich spannende Gespräch!
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