„Wer sich nicht permanent anpasst und transformiert, wird irgendwann einmal restrukturiert“, sagt Thomas Hösle im Interview mit „RATIO kompakt“. Hösle, 16 Jahre als CEO und CFO im Maschinen- und Anlagenbau tätig und als Fachberater fürs RKW Baden-Württemberg in der Mittelstandsberatung unterwegs, betont: „Ein Hebel, um die Zukunftsfähigkeit von KMU deutlich zu erhöhen, liegt in der Beherrschung von Technologien, insbesondere von praxistauglichen KI- und Software-Anwendungen.“ So werden Unternehmen produktiver, und sie verbessern ihre Arbeitgeber-Attraktivität. Hösle: „Die Auswirkungen des demografischen Wandels sind meines Erachtens die am stärksten unterschätzten Risiken für Unternehmen. Nur attraktive Arbeitgeber, die ein hohes Maß an Mitarbeiterzufriedenheit generieren und die Chancen der Automation im Shopfloor und im Officefloor geschickt nutzen, werden auch zukünftig über ausreichende Ressourcen zur Erbringung ihrer Leistungen verfügen und somit ihre Zukunftsfähigkeit sichern.“
RATIO kompakt: Die Weltwirtschaft befindet sich im Umbruch, und die Multidauerkrise der letzten Jahre stellt viele mittelständische Unternehmen vor immer größere Herausforderungen. Wie ist Ihre Einschätzung, Herr Hösle?
Thomas Hösle: Die Erfüllung der Strategie, das Unternehmen langfristig zu sichern und den Einfluss Dritter auf die Unternehmenspolitik zu vermeiden, wird immer anspruchsvoller. Es wird immer schwieriger, einerseits das Kerngeschäft profitabel zu halten und andererseits neue Geschäftsfelder mit nachhaltiger Perspektive aufzubauen. Für mich gilt die Erkenntnis: Wer sich nicht permanent anpasst und transformiert, wird irgendwann einmal restrukturiert.
Wo liegen aus Ihrer Sicht die Hebel?
Thomas Hösle: Auch wenn es keine Formel für den unternehmerischen Erfolg gibt, so existieren doch grundlegende Rezepte, die für den wirtschaftlichen Erfolg von KMU von existentieller Bedeutung sind. Genauso wenig, wie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Künstlicher Intelligenz bzw. Softwarelösungen verdrängt werden, sondern von Mitarbeitenden, die KI beherrschen, werden auch KMU nicht von KI vom Markt gefegt, sondern von Unternehmen, die die Vorteile von KI zu nutzen wissen! Es ist von entscheidender Bedeutung, dass sich mittelständische Unternehmen in erster Linie als Technologie-Unternehmen verstehen. Denn ein Hebel, um die Zukunftsfähigkeit von KMU deutlich zu erhöhen, liegt in der Beherrschung von Technologien, insbesondere von praxistauglichen KI- und Software-Anwendungen.
Welche Effekte können damit erzielt werden?
Thomas Hösle: Auf der Prozessebene die Effizienzsteigerung, auf der Mitarbeiterebene die Verbesserung der Zufriedenheit und die Steigerung der Attraktivität als Arbeitgeber. Denn über die KI- und Software gestützte Automatisierung gewinnen Prozesse in KMU deutlich an Effizienz und Produktivität und sind damit ein wesentlicher Bestandteil des Lean-Konzepts, das sich über digitale Tools zum Lean-Digital-Management weiterentwickelt. Wenn von der Automatisierung von Prozessen die Rede ist, denkt man für gewöhnlich an den Shopfloor, also an Produktionsprozesse. Dort ist die Umsetzung bei vielen Unternehmen in vollem Gange. Sie sorgen dafür, dass alle Prozesse, die automatisiert werden können, auch automatisiert werden. Aber wie sieht es in den nicht direkt wertschöpfenden Prozessen aus, in den vor- und nachgelagerten Bereichen und in den kaufmännisch-technischen, in den administrativen Bereichen? Dort erlauben wir uns in Deutschland den Luxus, das Potenzial von vielen gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit lästigen Routinearbeiten zu vergeuden. Damit einher gehen Motivationsverluste bei Mitarbeitenden sowie Bearbeitungsfehler, die sich wiederum negativ auf Produktivität und Effizienz auswirken.
Mit der Folge, dass die Fluktuation gerade von High Potentials zunimmt.
Thomas Hösle: Umfragen haben gezeigt, dass nur circa 21 Prozent der Beschäftigten angeben, mit den ihnen zur Verfügung gestellten Tools ihre Aufgaben gut erledigen zu können. Zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind aber das wirksamste Mittel gegen den relativen Fachkräftemangel. Mit dem Einsatz smarter Software-Tools erhöht sich einerseits die Zufriedenheit der Mitarbeitenden und damit deren Bindung an das Unternehmen. Andererseits können im Prinzip alle notwendigen, aber lästigen Routinearbeiten in den kaufmännisch-technischen Administrationsbereichen im Wege der Robotic Process Automation (RPA) auf die IT übertragen werden. IT, rund um die Uhr und im Prinzip an sieben Tagen die Woche agierend, füllt damit die Lücke, die durch den demografischen Wandel entsteht.
Laut Berechnungen des Statistischen Bundesamts werden uns in Deutschland bis 2042 circa neun Millionen Arbeitskräfte fehlen - querbeet über alle Funktionen, also nicht nur bei den Fachkräften.
Thomas Hösle: Die Auswirkungen des demografischen Wandels sind meines Erachtens die am stärksten unterschätzten Risiken für Unternehmen. Nur attraktive Arbeitgeber, die ein hohes Maß an Mitarbeiterzufriedenheit generieren und die Chancen der Automation im Shopfloor und im Officefloor (RPA) geschickt nutzen, werden auch zukünftig über ausreichende Ressourcen zur Erbringung ihrer Leistungen verfügen und somit ihre Zukunftsfähigkeit sichern. Ein weiterer Vorteil von RPA-Lösungen ist deren rasche Implementationund damit Wirkungsweise. Es gilt allerdings, rasch zu handeln und auf der Chefetage dafür Sorge zu tragen, dass in KMU die Chancen genutzt werden.
Im Grunde genommen eine strategische Aufgabe: Wie ist Ihre Vorgehensweise, wenn Sie von mittelständischen Unternehmen gerufen werden?
Thomas Hösle: Zur Bestimmung der Ausgangslage sowie zur Beurteilung der Chancen und Risiken existieren diverse quantitative und qualitative Ansätze. Im Einzelfall wird mit dem Unternehmer abgestimmt, welche Methode bzw. Vorgehensweise am zielführendsten ist. Ich persönlich lege großen Wert auf die Beurteilung des bestehenden Geschäftsmodells sowie auf das Ausloten neuer perspektivischer Geschäftsfelder. Sich nur darauf zu konzentrieren, bestehende Produkte und Lösungen im Wettbewerb mit seinen Marktbegleitern inkrementell zu verbessern, reicht heute vielfach nicht mehr aus, das ist die Dimension I von Innovation. Es geht darum, die Chancen der Dimension II von Innovation zu nutzen. Gemäß der Ansoff-Matrix sollten auf Basis bestehender Applikationen und technologischem Knowhow zusätzliche Umsatzpotenziale in Form neuer Märkte und Anwendungsfälle erschlossen werden, um zu diversifizieren und zu wachsen. Spannend wird es bei der Dimension III von Innovation, also beim erfolgreichen Meistern von Transformationen - technologisch, digital, ökologisch, kulturell. Diese drei Dimensionen der Innovation haben einen entscheidenden Einfluss auf das Geschäftsmodell von Unternehmen und sind zentraler Bestandteil der Strategie zur Sicherung von Unternehmen.
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