Mensch und Organisation sind ein ungleiches Paar. In dieser Hinsicht sind sich beide allerdings ähnlich: man bleibt beim jeweils anderen, so lange die Beziehung stimmt, und trennt sich, wenn man nicht (mehr) zueinander passt.
Möchte man also Einfluss auf die Personalbindung und -beschaffung nehmen, lohnt sich der Blick auf Verbindendes und Trennendes. Das RKW-Attraktivitätscockpit ist ein einfaches Tool, mit dem dies gelingen kann: man befasst sich mit dem, was das eigene Unternehmen für Beschäftigte und solche, die es werden könnten, attraktiv macht, und vergleicht sich dann mit der Arbeitsmarktkonkurrenz. Auf diese Weise wird man sich der eigenen Stärken bewusst, kann aber auch vorhandene Schwächen reflektieren und Kostenpotenziale identifizieren.
Der Anwendungsvorteil liegt deutlich auf der Hand: man weiß, womit man punktet und wo es etwas zu tun gibt. Daneben bekommt man auf diese Weise aber auch eine Ahnung, für wen man besonders attraktiv sein könnte und was in die Stellenausschreibung gehört. Das folgende Tool ist stark an die St-Galler-Strategielehre angelehnt und adaptiert ein Werkzeug, das Roman Stöger in unterschiedlichen Veröffentlichungen für einen etwas anderen Kontext publiziert hat.
Es ist zweigeteilt: der erste Teil dient dem Einschätzungs- und Messprozess, der zweite der Darstellung und Schlussfolgerung.
Das RKW-Attraktivitätscockpit:
Ein Blick in die Praxis:
Wir freuen uns, dass Kathrin Großheim, Referentin im RKW Kompetenzzentrum und DBVC-zertifizierte Coach, ihre Praxiserfahrungen mit uns teilt.
RKW: Liebe Kathrin, schön, dass Du Deine Erfahrungen mit dem Attraktivitätscockpit mit uns teilst. Erzähle uns doch vielleicht erst einmal, woher Deine Erfahrungen mit diesem Tool stammen.
Kathrin Großheim: Wir haben uns eine ganze Weile intensiv mit dem Thema Personalmarketing aus strategischer Perspektive befasst. Dabei kam dieses Tool in verschiedenen Unternehmensprojekten fast standardmäßig zum Einsatz - vor allem dort, wo der Fachkräftemangel Thema war.
Welche Qualitäten verbindest Du mit dem Instrument? Wodurch zeichnet es sich aus?
Es ist vor allen Dingen einfach und schnell anwendbar. Und dabei verbindet es vieles, was im Alltag meist nicht in Verbindung gebracht wird: vor allem die Interessen der (potenziellen) Mitarbeitenden und die Arbeitgeberattraktivität im Wettbewerbsvergleich. Ein besseres Instrument für diesen Anwendungszweck ist uns bisher nicht untergekommen.
Was magst Du an dem Tool besonders? Welchen besonderen Nutzen verspricht es für Kundinnen und Kunden?
Da gibt es zwei Aspekte. Erstens „purzelt“ durch die einfache Prozessführung ein meist interessantes und im Grunde genommen offensichtliches Ergebnis heraus. Zweitens stellt das Attraktivitätscockpit konsequent darauf ab, was die Leute wirklich wollen. Dieser Perspektivwechsel sorgt oft genug für Überraschungen.
Wie funktioniert die Anwendung des Instruments? Am liebsten wäre mir eine Schritt-für-Schritt-Anleitung. Kannst Du damit dienen?
Selbstverständlich, das ist im Grunde ganz einfach.
- Legen Sie fest, für welche Zielgruppe Sie das Instrument anwenden. Dabei ist die Ebene wesentlich. Arbeite ich das Tool für die gesamte Belegschaft aus, sind die Ergebnisse sehr grob. Wir haben gute Erfahrungen gesammelt, wenn wir uns auf einzelne Jobfamilien – also Stellencluster – beziehen, beispielsweise Vertriebsaußendienst oder Monteure.
- Bestimmen, Sie (am besten gemeinsam mit Vertretern der Jobfamilie), was das Unternehmen für diese Jobfamilie attraktiv macht, vielleicht das Bonussystem für die Außendienstler und die Qualität der Arbeitsmaterialien für die Monteure. Sammeln Sie etwa acht bis zehn solcher Faktoren.
- Nun gewichten Sie die Faktoren: wie viel Prozent trägt jeder Faktor zur Gesamtattraktivität bei? Wenn die Gesamtattraktivität 100% ausmacht, wie viel Prozentpunkte trägt beispielsweise das Bonussystem, wie viel der Dienstwagen und so weiter bei.
- Nun geht es an den Wettbewerbsvergleich. Sie wählen drei wichtige Wettbewerber auf dem Arbeitsmarkt aus, bilden Sie einen möglichst zutreffenden Querschnitt ab, vielleicht einen regionalen Mitbewerber, einen überregionalen und so weiter. Dann beurteilen Sie die einzelnen Faktoren im Wettbewerbsvergleich. Bin ich beispielsweise mit meiner Dienstwagenregelung im Mittelfeld, etwas oder viel besser oder vielleicht leicht bis deutlich unterdurchschnittlich.
- Die Ergebnisse übertragen Sie in die Portfoliodarstellung, die ja bereits unsere Illustration andeutet. Damit ergibt sich ein Raster: dort, wo ein Unternehmen im Wettbewerb schlecht aufgestellt ist, der Aspekt den Mitarbeitenden aber wichtig, haben Sie echte Schwächen in Ihrem Attraktivitätsprofil. Die Faktoren, die überdurchschnittlich und wichtig sind, bilden Ihre echten Stären ab und gehören in jede Stellenausschreibung. Ein Blick lohnt sich auch auf die Faktoren, in denen Sie deutlich besser abschneiden als der Wettbewerb, während die Mitarbeitenden keinen Wert darauflegen. Hier sind Kostenpotenziale.
Sag doch bitte noch etwas zum Rahmen: Wer sollte dabei sein? Wie lange dauert die Arbeit mit dem Tool? Was kann man schon gut vorbereiten? Und so weiter.
Der Rahmen hängt natürlich stark davon ab, wo und zu welchem Zweck man das Cockpit einsetzt. Personalverantwortliche können es beispielsweise als spannende „Schreibtischübung“ einsetzen. Man kann es sinnvoll mit einer Mitarbeiterbefragung verknüpfen, Interviews mit Schlüsselkräften führen oder einen gemeinsamen Workshop, beispielsweise im Rahmen eines Strategieprozesses, organisieren. Diese Flexibilität ist eine besondere Stärke des Tools. Auch die Vorbereitungen unterscheiden sich ein wenig je nach Einsatz. In einem Workshop ist es beispielsweise günstig, die beiden Vorlagen, die der Illustration sehr ähnich sind, vorab auf Papier zu bringen. Nutzt man das Tool exklusiv im Führungskreis, sollte man vorher die Einschätzungen von Vertreterinnen und Vertretern der Zielgruppe einholen.
Gab es dabei Aha-Momente? Haben die Unternehmen, die du begleitet hast, etwas aus Eurem gemeinsamen Prozess mitnehmen können?
Aha-Momente gab es immer wieder. Eine wesentliche Quelle für Überraschungen ist der Realitätscheck zwischen Erwartungen des Personalmanagements und den wirklichen Präferenzen und Wünschen der Zielgruppe. Das betrifft die Attraktivitätsfaktoren selbst, aber auch deren Gewichtung. Dahinter verbergen sich auch Kostenpotenziale: stellt man etwa fest, dass den Mitarbeitenden die private Nutzung des Dienstwagens wichtiger ist als Gesundheits- oder Sportkurse, spart man mitunter einiges an Geld.
Mal angenommen, Du würdest jemanden helfen, das Tool anzuwenden? Was würdest Du ihr oder ihm mit auf den Weg geben?
Früher haben wir das Attraktivitätscockpit meist in Workshops eingesetzt, an denen Geschäftsführung, Personalabteilung und Vertreterinnen und Vertreter der Zielgruppe teilgenommen haben. Oft waren dann auch noch Betriebs- oder Personalräte dabei. Die Erwartung: eine gemeinsame Diskussion führt, solange sie fruchtbar geführt wird, zu gemeinsamen und geteilten Einschätzungen mit hoher Umsetzungswahrscheinlichkeit. Wir haben aber die Preise unterschätzt. Oft genug geht es dann eben doch durcheinander und wird schwammig. Es sind viele implizite Erwartungen im Raum und man versucht eben doch oft, der Geschäftsführung zu gefallen oder sich zumindest an deren Erwartungen zu orientieren. Heute würden wir einer Personalabteilung eher vertrauliche Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Zielgruppe empfehlen, um anschließend in einen Austausch mit dem Management zu gehen.
Vielen Dank für das interessante Gespräch, liebe Kathrin.
Do´s & Don´ts
- Wählen Sie die Zielgruppe mit Bedacht. Am wichtigsten sind erst einmal die Jobfamilien (Stellencluster aus vergleichbaren Jobs, wie Vertriebsaußendienst, Monteure oder Entwickler), die erfolgskritisch sind und ein hohes Beschaffungsrisiko aufweisen.
- Beziehen Sie Mitarbeitende ein, indem Sie das Tool gemeinsam ausfüllen oder vorab mit ihnen sprechen.
- Halten Sie beim Ausfüllen des Tools den Fokus. Es hilft nicht, aus Gefälligkeit den Arbeitgeber gegenüber der Chefin oder des Chefs schönzureden oder die Definition der Zielgruppe unbegründet aufzuweichen, beispielsweise weil es dann schneller geht.
Kathrin Großheim ist Referentin im Bereich Digitalisierung und Innovation im RKW Kompetenzzentrum. Dort steht sie für die Themen Marktpositionierung, Unternehmensentwicklung und Personalstrategie von kleinen und mittleren Unternehmen sowie für Entwicklungsarbeit auf Augenhöhe – gepaart mit theoretischem und methodischem Know-how. Sie begeistert sich für die Zusammenarbeit mit mittelständischen Unternehmen.
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